
Bernd Rützel ist es gewohnt Kilometer zu fressen. Im Gemündener Schwimmbad dreht er in seiner Freizeit Runde um Runde bis zu 3000 Meter am Stück, wenn es sein muss. Der Mann hat Ausdauer und diese Ausdauer macht er sich auch im Wahlkampf zu nutze. Unermüdlich zieht er mit seinem roten Koffer durch den gesamten Wahlkreis, putzt Klinken, geht von Tür zu Tür.
Basisarbeit leisten nennen das Politiker gemeinhin. Die Idee ist nicht neu. Aber sie funktioniert für den 40-jährigen Eisenbahner. „Ich brauche kein Riesenbudget für den Wahlkampf. Lieber laufe ich den ganzen Tag über durch die Stadt und sage zu jedem Grüß Gott.“ Rützel sucht bewusst den Dialog mit den Wählern. „Es ist wichtig, nicht im eigenen Saft zu schmoren. Die besten Anregungen bekommt man ohnehin von ganz normalen Leuten.“
Weit über 200 Termine hat er inzwischen mit seinem roten Koffer absolviert und ist mehr als 1000 Kilometer quer durch den ganzen Wahlkreis gefahren. Auf der Homepage des Kandidaten führt der rote Koffer sogar ein eigenes Tagebuch. Rützel ist ehrgeizig, aber nicht verbissen. „Ich bin natürlich nicht angetreten, um Zweiter zu werden. Es ist klar, dass ich Vollgas gebe. Aber nicht auf Biegen und Brechen.“ Rützel will das Amt, will sich dafür aber nicht verbiegen müssen. „Schließlich möchte ich noch in den Spiegel schauen können“, sagt er.
Seine Ansichten formuliert der 40-Jährige ohne große Umschweife. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist für ihn ebenso wenig verhandelbar, wie seine Forderung nach der Abschaffung der Studiengebühren an den deutschen Universitäten. „Die Atomenergie ist eine Technologie, die wir nicht im Griff haben. Stellen Sie sich doch nur mal vor, es würde in Grafenrheinfeld etwas passieren.“ Rützel setzt statt dessen auf alternative Energien wie Solartechnik oder Windräder. „Natürlich nur, wenn sie keine Schatten auf Wohngebiete werfen. Aber schließlich muss der Strom ja auch in Zukunft irgendwo herkommen.“
Auch zur Rente mit 67 hat Rützel eine klare Haltung. „Ich bin absolut dagegen. Wie soll das jemand schaffen, der körperlich schwer arbeitet oder wie beispielsweise eine Krankenschwester im Schichtdienst tätig ist?“ Rützel fordert die Rente mit 45 – mit 45 Beitragsjahren. Gerechtigkeit ist für den Familienvater ein zentraler Begriff – im täglichen Leben genauso wie in der Politik. Daher setzt er sich auch für die Einführung eines Mindestlohns ein. „7,50 Euro wären zumindest ein Anfang“, sagt Rützel. „Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können.“
Bildung ist für ihn ein weiteres zentrales Thema. Eines, das vor allem im Hinblick auf die Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnt. „Wenn wir nicht auf Bildung setzen, bekommen wir in diesem Land Probleme. Wir haben ja keine Bodenschätze.“ In seiner eigenen schulischen Laufbahn war Rützel selbst eher ein Spätzünder. Nicht aber, was sein Engagement als Betriebsrat bei der Bahn anbelangt. Er wurde bereits zum Jugendvertreter gewählt, kaum dass er dort mit seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser begonnen hatte. „Es hat mir einfach Spaß gemacht, Verantwortung zu übernehmen“, erinnert sich Rützel .
„Es ist wichtig, dass man geerdet bleibt“
Bernd Rützel, Bundestagskandidat der SPD
Der Schritt von der Gewerkschaft zur SPD war da nur noch eine Frage der Zeit. 1992 trat er bei. Rützel steht hinter dem aktuellen Programm seiner Partei trotz schwacher Umfragewerte. „Die Inhalte sind meiner Meinung nach gut, aber wir bringen sie irgendwie nicht richtig rüber“, sagt Rützel. Aber der gebürtige Rienecker wäre sicher kein echter Langstreckenschwimmer, wenn er nicht wie SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier auch auf den längeren Atem setzen würde. Sollte er gewählt werden, will Rützel seinen Sitz im Gemündener Stadtrat auf jeden Fall beibehalten. „Es ist wichtig, dass man geerdet bleibt“, meint er.
Rückhalt findet Rützel in den hektischen Wahlkampfzeiten vor allem bei seiner Familie. Seine Frau Edith und die beiden Töchter Pauline und Antonia sind für ihn das A und O. Das Ehepaar hat lange diskutiert, ehe die Entscheidung für die Kandidatur fiel. „Wir haben die Vor- und Nachteile abgewägt“, erinnert sich Rützel. Inzwischen gehören Mutter und Töchter voller Begeisterung zum kleinen Wahlkampfteam, kleben Rote-Koffer-Aufkleber auf die Streichholzschachteln, die Bernd Rützel bei seiner Koffertour verteilt. Auf der Terrasse des Hauses in Schaippach stecken zwei kleine rote Windrädchen in den Blumenkästen.
Die Familie Rützel unternimmt gerne Städtereisen. London, Paris und Rom hat das Quartett schon gesehen. Jetzt stehen noch Ziele in Ungarn und Schottland auf dem Reise-Wunschzettel. „Und natürlich ab 28. September Berlin“, ergänzt Bernd Rützel selbstbewusst.
Zur Person
Der SPD-Direktkandidat im Wahlkreis Main-Spessart/Miltenberg wurde 1968 in Gemünden geboren, wuchs in Rieneck auf und wohnt in Schaippach. Der Technische Amtsrat bei der Deutschen Bahn in der Leitung der DB Schenker Rail in Frankfurt ist verheiratet und hat zwei Töchter. Mit 14 begann Rützel eine Ausbildung zum Maschinenschlosser bei der Deutschen Bahn. Später absolvierte er berufsbegleitend ein Studium and der Fachhochschule Karlsruhe. Rützel ist seit 1992 Mitglied der SPD. Er ist in Gemünden Stadtrat und SPD-Ortsvorsitzender sowie stellvertretender SPD-Kreisvorsitzender.