Sie weiß viel zu erzählen. Und sie tut das mit Leichtigkeit und umwerfender Leidenschaft. Manchmal in zu kleinen Geschichten zusammengefassten Erinnerungen und Erlebnissen – und täglich in ihren Bildern. Für die in Sinsheim geborene und in Würzburg lebende und arbeitende Malerin Renate Jung gibt es nichts, was unter ihren Pinseln, Federn, Stiften oder Computertasten nicht zu Kunst wird.
Das soeben im Echter-Verlag in Würzburg erschienene Buch „Renate Jung. Eine zeitgenössische deutsche Malerin“, herausgegeben von Bernhard Schwanitz und Werner Tiltz, ist eine Hommage an diese Künstlerin und blättert ihr breit gefächertes, in ruhelosem Fleiß entstandenes Schaffen umfassend und informativ auf.
Gemalt wird nahezu täglich, geschrieben von Zeit zu Zeit. Nur selten gebe sie Ruh, lächelt Renate Jung. Aber manchmal werde die Nacht zum Tag. „Dann bin ich wie besessen. Das Porträt vom Genscher hab ich in einer Nacht gemalt“, erinnert sie sich. „Und ich war mir am Morgen sicher, dass kein einziger Strich verbessert werden muss“. Und sie verrät, dass sie beim Malen des Porträts ihrer Freundin, der aus Russland stammenden Pianistin Eva Smirnova, wirklich ihre gesamte Lust an künstlerischer Gestaltung austoben konnte.
Tag für Tag sammelt die Künstlerin Anregungen. Mit wachen Augen nimmt sie in sich auf, was ihr im Alltag, im Leben begegnet. Zieht ihren kleinen Block aus der Tasche oder hält auf dem Rand einer Zeitung fest, was sie gerade sieht und erspürt.
Was aus diesen dahin geworfenen Skizzen entsteht, erschließt sich beim Blättern in dem nun erschienenen Band, der mit großem Schriftbild, klaren Farben und Fotos besticht. Der Betrachter entdeckt starke, sprechende Tafelbilder, aus denen das Ergebnis reflektierter Tatsachen, hin und wieder auch eine Botschaft, oft viel Humor spricht. Die gezeigten charakteristischen Porträts sprechen Bände. Renate Jung schaut nämlich genau hin. Mit einem Blick in Gesichter erspürt sie Lust und Last aus dem Leben des Modells, das vor ihr sitzt oder steht. Und schon fließen Trauer, Melancholie oder Glückseligkeit unter ihren Händen auf Leinwand und Papier. Intuitiv erfasst die Malerin Sehnsüchte, Erfolge, Enttäuschungen, die sie mit ihrem Strich in Mimik und Körperhaltung manifestiert.
„Wenn ich male, bin ich auf einer anderen Ebene“, sinniert Renate Jung. „Ich male so, wie es die Bilder erfordern“. Sie stammt aus einem humanistisch-christlichem Elternhaus, gibt im Buch Einblicke in die Kindheit und ihren Weg zur Malerei. Nachdenklich waren ihre Altvorderen, erinnert sie sich, die Mutter beinahe philosophisch und der Onkel ein Maler.
Landschaften blühen auf ihrer Staffelei auf, Blumenarrangements, Stillleben bezaubern, die Auseinandersetzung mit Klassikern wie Goethe und Schiller, mit Dichtern wie Rainer Maria Rilke oder mit den Worten des von ihr sehr verehrten Michel de Montaigne geben ihr Lebenshilfe und Energie für ihre Arbeit. Bilderreihen entstehen, die den Zeitgeist einfangen wie die Serie „dahintergeblickt - it‘s Handy time“.
Ihr „Goethe-Zyklus“ ist eine intensive und neugierige Auseinandersetzung mit dem Dichterfürsten, die Assemblage „Tsunami“ scheint die Vertreibung aus dem Paradies bedrückend heutig darzustellen. Heiter sind die farbigen Reiseerinnerungen, mit Augenzwinkern gestaltet sie Häuser mit ihrer „angewandten Kunst“ zwischen Himmel und Erde.
Egal, womit sie gerade beschäftigt ist, immer arbeitet sie frei nach Schillers Aussage „Alle Kunst ist der Freude gewidmet“.
Bernhard Schwanitz/Werner Tiltz (Hg): Renate Junge. Eine zeitgenössische deutsche Malerin. Echter Verlag Würzburg, ISBN 978-3-429-03616-4, 24,80 Euro.