Weil die Symptome nicht immer typisch sind und die Diagnose deshalb mitunter schwierig ist, zitiert Professor Ekkehard Schippers den berühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch und spricht vom „Chamäleon des Bauches“. Was landläufig gerne (und fälschlicherweise) als Blinddarmentzündung bezeichnet und im Fachjargon Appendizitis genannt wird, ist die „Entzündung des Wurmfortsatzes des Blinddarms“, wie der Chef der Allgemein- und Viszeralchirurgischen Abteilung des Würzburger Juliusspitals erklärt.
Der Verlauf der Appendizitis kann von einer leichten Reizung über eine schwere Entzündung bis hin zum lebensbedrohlichen Wanddurchbruch (mit Perforation in die freie Bauchhöhle) und damit im „schlimmsten Fall zu einer Entzündung des Bauchfells führen“, erklärt Chirurg Schippers.
Frauen haben ein höheres Risiko
Der Wurmfortsatz des Blinddarms entzündet sich etwa bei 100 von 100 000 Einwohnern, damit ist die Appendizitis hierzulande gleichwohl die „häufigste akute Abdominalerkrankung“, und die Operation ist, wie Schippers sagt, der „häufigste Notfalleingriff in der Allgemeinchirurgie“. Das Risiko, daran zu erkranken, liege bei etwa sieben bis acht Prozent. Am häufigsten tritt sie zwischen dem elften und 19. Lebensjahr auf, Kleinkinder erkranken zwar seltener daran, da sie meist „aber eher geringe klinische Symptome zeigen, dafür häufiger atypische Verläufe haben, ist die Appendizitis bei ihnen besonders gefährlich“. Auch Frauen haben ein deutlich höheres Risiko, wegen einer Appendizitis operiert zu werden als Männer. Der Wurmfortsatz enthält viele Lymphfollikel und kann sich durch Infektion mit Erregern entzünden, häufiger passiert dies jedoch „durch Narben oder Verlegungen etwa mit Kotsteinen oder Nahrungsbestandteilen, seltener durch Tumore“, erläutert Schippers.
Die Diagnose ist schwierig
Das Chamäleon des Bauches: Hauptsymptom der Appendizitis ist der Symptomwechsel. Oft haben Betroffene zuerst Schmerzen in der Gegend des Bauchnabels und in der Magengegend. Häufig ist es ein Druckschmerz. Innerhalb weniger Stunden wandern die Schmerzen in den rechten Unterbauch. Oft sind sie begleitet von Appetitlosigkeit, Übelkeit, Fieber, manchmal Erbrechen, in fortgeschrittenem Stadium kann es zu einer Darmlähmung kommen. Aber erstens können Bauchschmerzen und Fieber und Übelkeit viele Ursachen haben, zweitens kann der Wurmfortsatz entzündet sein, ohne dass der Patient all die Symptome hat. „Vor allem bei älteren Patienten sind die Beschwerden oft nicht so deutlich ausgeprägt“, weiß Schippers.
Das macht die Diagnose so schwierig – denn einen echten Beweis, dass es sich tatsächlich um einen entzündeten Wurmfortsatz handelt, gibt es vor der Operation nicht. Erst der Pathologe, der das entfernte Gewebe untersucht, kann mit Sicherheit die Appendizitis bestätigen. „Etwa zehn bis 15 Prozent aller entfernten Wurmfortsätze waren nie entzündet“, zitiert Schippers aus einer deutschlandweiten Statistik.
Es ist eine Frage der Abwägung: Besteht der Verdacht einer Appendizitis und man versucht eine konservative Behandlung mit Bettruhe unter Nahrungsverzicht, mit Medikamenten und Kontrolle der Laborwerte, und operiert nicht, riskiert man womöglich einen Durchbruch in die Bauchhöhle. Wenn Kot und Keime dort landen, ist es höchste Eisenbahn, weil eine Entzündung des Bauchfells binnen weniger Stunden tödlich verlaufen kann und selbst die Notfall-OP dann manchmal zu spät kommt. Deshalb, so Schippers, ist die Diagnostik einer Appendizitis so wichtig.
Die Schlüssellochchirurgie
Neben einer möglichst detaillierten Anamnese, also der Befragung nach aktuellen und vergangenen körperlichen Beschwerden, nach erfolgten Behandlungen und der Einnahme von Medikamenten, sind Tast- und Laboruntersuchungen (wobei es auch Entzündungen des Wurmfortsatzes ohne erhöhte Laborwerte gibt), Ultraschall und manchmal eine Computertomographie die Mittel der Wahl.
Da die Verläufe so unterschiedlich sein können – bei manch Betroffenem wandern die Schmerzen in 48 Stunden vom Ober- zum Unterbauch, andere haben in der Früh Schmerzen und am Abend den Durchbruch – „ist es enorm hilfreich, wenn ein erfahrener Chirurg die Diagnose stellt“, so Schippers. In der Mehrheit der Fälle wird eine Appendizitis heutzutage nicht mehr offen durch den Unterbauch, sondern minimal-invasiv operiert, der Fachmann spricht von der „laparoskopischen Appendektomie“, heute ein Routineeingriff, der im Schnitt eine halbe Stunde bis Stunde dauert. Dabei wird der Wurmfortsatz mit Hilfe einer in die Bauchhöhle eingeführten Kamera und kleiner Instrumente entfernt.
Vorteile dieser Schlüssellochchirurgie sind laut Schippers „kleinere Schnitte, dadurch geringere OP-Traumata, eine frühere Mobilisierung des Patienten und eine bessere Kosmetik“. Ein weiterer Vorteil der Laparoskopie sei die „bessere Übersicht im Bauchraum. Sie erlaubt, andere Erkrankungen wie entzündliche Darmerkrankungen sowie insbesondere bei Frauen im gebärfähigen Alter Erkrankungen des inneren Genitals festzustellen oder auszuschließen“, erklärt Schippers.
Der Patient muss durchschnittlich lediglich drei bis vier Tage im Krankenhaus verweilen. Letztlich kann man auch ganz wunderbar ohne den Wurmfortsatz leben, weil der Mensch auf ihn „ähnlich verzichten kann wie auf die Gallenblase“, sagt Ekkehard Schippers.
Der Blinddarm
Der im Fachjargon Zäkum genannte Blinddarm ist der blind endende Anfangsteil des Dickdarms, der sackförmig in die Bauchhöhle ragt. Umgangssprachlich – aber falsch – wird häufig der Wurmfortsatz des Blinddarms, der Appendix, als Blinddarm bezeichnet. Auch die Bezeichnung Blinddarmentzündung für die Appendizitis ist dementsprechend unzutreffend: Korrekt wäre Entzündung des Wurmfortsatzes. Beim Menschen ist der Blinddarm mit sechs bis acht Zentimetern Länge eher klein. Bei einem Warmblut-Hauspferd ist er einen Meter lang.