Von einem katholischen Bischof mit „Kollegin“ begrüßt zu werden, irritiert in diesem Fall nicht. Die Bezeichnung ist sogar korrekt. Denn das Thema des Gesprächs mit dem Bischof emeritus von Würzburg, Paul-Werner Scheele, dreht sich um seine Zeit „Als Journalist in Rom“. Unter diesem Titel hat er seine damaligen Berichte in einem Buch veröffentlicht (Echter Verlag).
Und im Interview mit der „Kollegin“ von der Regionalzeitung erinnert er sich an die für ihn höchst spannenden Monate während des Zweiten Vatikanischen Konzils, das vor 50 Jahren begann. Bischof Scheele, damals Mitte 30 und Priester in Paderborn, berichtete für die Wochenzeitung „Echo der Zeit“ von der dritten Session des Konzils. Sie fand vom 14. September bis 21. November 1964 statt und war laut Scheele „die interessanteste und wichtigste“ der insgesamt vier Sitzungsperioden.
Ein Gespräch mit dem Journalisten beziehungsweise „rasenden Reporter“ von einst, über seine Eindrücke aus der ewigen Stadt, über bahnbrechende Erneuerungen, die heute als selbstverständlich gelten, und über ein Thema, das für den Kirchenmann schon vor dem Konzil im Mittelpunkt stand: die Ökumene.
Bischof Paul-Werner Scheele: Auch mein Journalistenausweis ist wieder aufgetaucht. Aber fragen Sie mich bloß nicht, wo ich ihn jetzt vergraben habe. Da müsste ich eine längere Suche starten.
Bischof Scheele: Die katholische Wochenzeitung „Echo der Zeit“ suchte damals einen Mann, der theologisch versiert über das Konzil schreibt und als Experte auch Stellung bezieht. Die Zeitung fragte diesbezüglich beim Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumene in Paderborn nach. Und weil ich damals bereits dort Mitglied war, wurde mir die Aufgabe übertragen.
Bischof Scheele: In Rom war es sehr aufregend und auch ein wenig hektisch. Jeden Tag gab es mehrere Pressekonferenzen. Manchmal konnte ich jedoch direkt in die Aula des Petersdoms das Geschehen verfolgen. Ich erlebte dort zum Beispiel Kardinal Döpfner, der in Würzburg ja bestens bekannt ist. Er war einer der vier Moderatoren und musste den Bischöfen sagen, wenn sie ihre Redezeit von acht Minuten überschritten haben, dass sie aufhören mussten. Das hat man ihm mitunter sehr verübelt. Die Redner waren jedoch durch diese Begrenzung gezwungen, nicht abzuschweifen.
Bischof Scheele: Die von den Arbeitsgruppen vorab erarbeiteten Textentwürfe wurden auf dem Konzil vorgestellt. Die Bischöfe brachten anschließend ihre Anmerkungen vor – sehr präzise und auf Latein. Das war die Konzilssprache. Die Texte konnten widerlegt, abgelehnt, komplett oder mit Änderungsvorschlägen angenommen werden. Die Anmerkungen – Modi – genannt, durften jedoch nicht verallgemeinernd sein, also nicht: „Das gefällt mir nicht, ich möchte etwas Besseres.“ Und ein Bischof, der anderer Meinung war, musste versuchen zu erkennen, welches Anliegen seine Kollegen zu diesem oder jenem Vorschlag bewogen hatte. Es ging ja ums Ganze, darum, was der Glaube fordert. Und das Gremium war international. Erstmals waren auf einem Konzil auch afrikanische oder asiatische Bischöfe und Beobachter vertreten. Und jede Nation hat natürlich andere Themen und Bedürfnisse.
Bischof Scheele: Das Konzil war ein dynamischer Prozess. Für mich sehr beeindruckend war die Entwicklung des Ökumenismusdekrets „Unitatis redintegratio“. Papst Johannes XXIII. hat ja die Einheit der Kirche als unsere Aufgabe und unser Ziel bezeichnet. Das hat in den Texten zum Konzil immer wieder seinen Niederschlag gefunden. Anfangs gab es zum Thema Ökumene allerdings nur einen kleinen vorbereitenden Textvorschlag allgemeiner Natur. Deshalb musste ein neues Papier erstellt werden. Das war nicht einfach, auch deshalb, weil es eine ganze Reihe Bischöfe gab, die noch nie einen evangelischen Christen erlebt hatten. Ökumene, das war ein Fremdwort für sie und sie mussten erst dafür gewonnen werden. Das ist in einem intensiven Prozess so bewegend geschehen, dass es bei der Schlussabstimmung eine überwältigende Zustimmung gab. Das Konzil war nicht nur diesbezüglich ein großer Lernprozess für die Bischöfe. Es wurden damals so viele Mauern durchbrochen und Tore geöffnet, andererseits aber auch Klarheit geschaffen, nicht zuletzt im Umgang mit anderen Religionen.
Bischof Scheele: Die Sitzordnung der Teilnehmer war nicht nach Nationalitäten geordnet, sondern nach dem Dienstalter. Es gab also kein deutsches oder kein italienisches Eck. Die nichtkatholischen Beobachter des Konzils hatten jedoch einen Vorteil. Sie saßen näher am Altar und am Präsidium. Wer ganz hinten am Portal des Petersdoms saß, der brauchte fast ein Fernrohr, um bis zum Altar schauen zu können.
Bischof Scheele: Ich war damals zwar nur ein einfacher Priester, aber ich hatte mein Quartier in der Villa „Mater dei“. Sie ist heute das Gästehaus der Deutschen Bischofskonferenz, damals war sie auch ein internationaler Ort, wo verschiedene Erdteile vertreten waren. Ein Vorteil für mich war, dass dort die Diskussionen am Abend oft weitergingen. So hatte ich neben den täglichen Pressekonferenzen noch zusätzliche Informationsquellen. Die Möglichkeit, ab und an das Konzil direkt im Petersdom mitverfolgen zu können, hatte aber auch noch einen anderen Effekt. Ich konnte vergleichen, was dort gesagt und wie es auf der Pressekonferenz zusammengefasst wurde. Ich erkannte damals sehr schnell, dass die deutsche Pressekonferenz eine der besten war. Sie wurde häufig von ausländischen Journalisten besucht, die der deutschen Sprache mächtig waren.
Bischof Scheele: Ich lieferte einen großen Bericht pro Woche, das „Echo der Zeit“ war ja eine Wochenzeitung. Mein einziges Werkzeug war meine kleine Reiseschreibmaschine. Obwohl das Konzil von Montag bis Freitag bis zur Mittagsstunde stattfand, musste ich meinen Bericht vorzeitig abschließen, zur Post rennen und ihn mit Eilvermerk losschicken. E-Mail gab es ja noch nicht. Es war jedes Mal spannend, ob er noch rechtzeitig ankommt. Wenn er zu spät in der Redaktion eingetroffen wäre, hätte das eine leere Zeitungsseite bedeutet. Das ist Gott sei Dank nie passiert.
Bischof Scheele: Das waren meist römische Korrespondenten, die leider nicht so theologisch versiert waren. Sonst hätten sie die vielen bahnbrechenden Dinge besser erkannt und was sie für die Entwicklung der Theologiegeschichte bedeuten. Aber so fiel das Konzilsecho in Deutschland eher mäßig aus. Die Korrespondenten waren mehr gewohnt, über Klatsch und Tratsch von Adelshäusern zu schreiben. Ich will das nicht verurteilen. Auch ich wäre überfordert, wenn ich einen Kongressbericht beispielsweise über die jüngsten naturwissenschaftlichen Forschungen zu schreiben hätte. Da müsste ich mich auch auf wenige Dinge beschränken, die mir von außen her auffallen.
Bischof Scheele: Ich verstehe dieses Ruf, aber ich halte ihn nicht für richtig, weil wir das letzte Konzil noch gar nicht ausgewertet und aufgearbeitet haben. Ein Konzil ist ein Anfang und kein Endpunkt. Es ist ein Startsignal, aber am Ende winkt keine Zielfahne. Viele Aufgaben sind seither aufgegriffen worden. In der Liturgie haben die Menschen das am intensivsten erlebt. Bei ihr ging die Entwicklung jedoch über das Konzil hinaus.
Bischof Scheele: Dass die heilige Messe vom Anfang bis zum Ende in deutscher Sprache gehalten wird, hat das Konzil so nicht formuliert. Es hat wohl dafür plädiert, dass man auch die Muttersprache einbeziehen sollte bei bestimmten Stellen. Aber dieser Prozess ging ja bekanntlich weiter.
Bischof Scheele: Allerdings, gerade hier in unserem schönen Frankenland. In der Nachkonzilszeit sind so viele Heiligenfiguren aus den Kirchen hinausgeworfen worden – mehr, als im Krieg zerstört wurden. Obwohl viele Menschen an den Figuren hingen, bügelten einigen Priester jeden Widerspruch mit dem Satz nieder: Das hat das Konzil so entschieden! Das hat bei manchen Gläubigen auch eine Antipathie gegen das Konzil hervorgerufen. Aber im Konzil gibt es dazu keine einzigen Satz, der dies gerechtfertigt hätte. Es hat noch nie ein Konzil so großartige Worte über die Heiligenverehrung gefunden wie das zweite Vaticanum.
Bischof Scheele: Diesbezüglich kann ich auf die Ökumene verweisen. Bei ihr wurde so viel innerhalb von 50 Jahren erreicht, was man nie für möglich gehalten hätte. Aber die Gefahr, dass man das nicht mehr wahrnimmt, dass man das für so selbstverständlich hält, dass man sich nicht mehr weiter engagiert – oder sogar undankbar ist – diese Gefahr ist vorhanden. Undankbarkeit ist eine der gefährlichsten Eigenschaften eines Menschen, sie macht so viel kaputt.
Bischof Scheele: Besonders in Erinnerung ist mir die Begegnung mit Roger Schutz, dem Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé.
Bischof Scheele: Ich hatte in meinem Gepäck für meine Journalistenzeit in Rom ein Manuskript mit Gebeten der Ökumene, also mit Gebeten aus allen Kirchen. Ich wollte sie in einem Buch herausgeben. Damit möglichst viele angesprochen werden, habe ich auf Muttergottes-Gebete verzichtet. In einem katholischen Gebetbuch dürfen sie natürlich nicht fehlen, aber ein evangelischer Christ hätte sich daran stören können, obwohl auch Luther die Muttergottes verehrt hat. Jedenfalls bat ich Bruder Roger, ob er ein Nachwort schreiben würde. Er sagte zu und wollte das Manuskript sehen. Er hat mich mit einem schönen Text überrascht – und einem Mariengebet, das er eingefügt hat. So kam ein Buch heraus, das einen katholischen Herausgeber hat, der kein Mariengebet vorsah, und an dessen Ende durch einen reformierten Theologen ein marianisches Gebet steht. Das ist für mich ein sehr schönes Beispiel, was in einem ökumenischen Dialog alles passieren und wie man sich wechselseitig beschenken kann.
Zweites Vatikanisches Konzil
Papst Johannes XXIII. kündigte das zweite Vatikanische Konzil 1959 kurz nach seiner Wahl an – mit dem Ziel einer Vertiefung des Glaubens und einer Erneuerung der Kirche in der modernen Welt. Das Konzil begann am 11. Oktober 1962 und endete nach vier Sitzungsperioden am 8. Dezember 1965 unter Papst Paul VI. Erstmals tagte die Vollversammlung heute vor genau 50 Jahren im Petersdom.
Insgesamt rund 2800 Konzilsväter debattierten darüber, wie die katholische Kirche ihre Botschaft unter den Rahmenbedingungen der modernen Welt und des weltanschaulichen Pluralismus verkünden kann. Weitere Themen waren die Reform der Liturgie und der Priesterausbildung, die Einheit der Christen und die Aussöhnung von Kirche und Judentum. Am Ende der Verhandlungen standen als Ergebnis insgesamt 16 Dokumente: vier Konstitutionen, neun Dekrete und drei Erklärungen. Schlüsseldokumente sind die Konstitutionen. Eine davon formulierte mit dem Bild der Kirche als dem pilgernden Gottesvolk ein neues Kirchenverständnis, wonach jeder Mitverantwortung trägt.
Innerhalb der katholischen Kirche wurde das Zweite Vatikanische Konzil als Aufbruch und Kontrapunkt zum Ersten Vatikanischen Konzil (1870) verstanden, das etwa die Unfehlbarkeit des Papstes festgeschrieben hatte. Aus Protest gegen die Beschlüsse des Konzils gründete der französische Erzbischof Marcel Lefebvre 1970 die traditionalistische Piusbruderschaft.
Erstmals in der Kirchengeschichte waren zu den Beratungen auch Beobachter aus orthodoxen und protestantischen Kirchen eingeladen. Im zweiten Jahr nahmen auch Laien teil. Zwei sprachen sogar auf dem Konzil. Ab 1964 durften erstmals auch Frauen zuhören. (kna/epd)