Wer mit dem Auto nach Schweinfurt hineinfährt, dem begegnet irgendwann das Schild „Museen Schäfer“. Es gibt tatsächlich zwei davon: das Museum Georg Schäfer und das Museum Otto Schäfer. Die beiden Industriellen Georg (1896–1975) und Otto Schäfer (1912–2000) waren Brüder, einer sammelte Gemälde und Grafik, der andere vor allem wertvolle Drucke und Bücher. Das Museum Georg Schäfer, ein spektakulärer, preisgekrönter Bau von Volker Staab, beherbergt vor allem Gemälde des 19. Jahrhunderts – Romantik, Biedermeier, Genremalerei, Impressionismus. Das Haus ist nicht zuletzt berühmt für die größte Spitzweg-Sammlung überhaupt.
Das Museum Georg Schäfer liegt mitten in der Altstadt, das Museum Otto Schäfer in einem ehemaligen Wohngebäude in einem ruhigen Wohngebiet abseits des Zentrums. Hier kommt man nicht mal so vorbei. Seine Sammlungen erschließen sich dem Betrachter nicht annähernd so leicht wie die Gemälde, zumal immer nur kleine Ausschnitte für kurze Zeit gezeigt werden können.
Und doch gelingt es dem Museumsteam – meist in enger Zusammenarbeit mit städtischen Kollegen und/oder dem historischen Verein und der Rückert-Gesellschaft – immer wieder, Ausstellungen zusammenzustellen, die viel verraten über Weltbild und Wirken früherer Jahrhunderte, von der Entstehung der Druckkunst über alte Atlanten bis hin zu Einblicken in die Frühzeit der Wissenschaften und der Medizin.
Es gibt noch einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Sammlungen: Die Erben Georg Schäfers haben die Sammlung in eine echte Stiftung überführt. Das bedeutet: Es dürfen nicht einfach Bilder verkauft werden, da das Stiftungsvermögen nicht geschmälert werden darf. Dies ist auch eines der Argumente der Stiftung gegen die Rückgabe von Raubkunst.
Eigentümer der Sammlung Otto Schäfer – mit Ausnahme eines bedeutenden Konvoluts von Dürer-Grafik – und Träger des Museums ist der eingetragene Verein „Dr. Otto Schäfer Stiftung e.V.“ – eine Rechtsform, die es grundsätzlich leichter macht, in Vereinsvermögen einzugreifen. Was Beobachter vehement bedauern. Der Historiker und Archivar Klaus Graf, der den Verkauf von 194 Handschriften und Drucken des 15. und 16. Jahrhunderts an einen Schweizer Händler publik gemacht hatte, nennt das Vorgehen Otto G. Schäfers gar „skandalös“: Die Schweinfurter Bibliothek geriere sich als ehrenwerte und seriöse Institution, getragen von einem als Stiftung bezeichneten eingetragenen Verein. Der nicke aber vermutlich nur das ab, was der Vereinsvorsitzende Otto G. Schäfer wolle. Der Verkauf sei ein Aderlass, der den Kernbestand der Sammlung betreffe, so Graf. „Eigentum verpflichtet – da hätte man anders damit umgehen müssen.“
Nach der „EG-Verordnung über die Ausfuhr von Kulturgütern“ von 2008 müssen solche Transaktionen beantragt werden. Dies geschah in Hamburg, woraufhin die Kulturbehörde der Freien und Hansestadt das Konvolut prüfte, vorläufig ins Länderverzeichnis des national wertvollen Kulturguts eintrug und im November 2014 die Auslieferung stoppte – Aktenzeichen ST6341/01. Inzwischen sind die Bücher wieder in Schweinfurt, und das Bayerische Kultusministerium lässt prüfen, ob sie auch in die bayerische Liste eingetragen werden.
Klaus Graf, der nach eigenen Angaben seit 1994 im Bereich Kulturgutschutz recherchiert, ist da allerdings wenig optimistisch: „Hamburg war überzeugt, dass mindestens einige Stücke definitiv national wertvolles Kulturgut darstellen und hat daher die vorläufige Unterschutzstellung veranlasst.“ Bayern sei nicht für seinen Mut gegenüber dem Kunsthandel bekannt, sagt Graf. Er wirft Bayern vor, bewegliche Kulturgüter zu vernachlässigen und hält die Rückverlagerung nach Bayern für eine Umgehung. „Kulturgüter sind einmal mehr Opfer des deutschen Föderalismus.“
Im Trägerverein des Museums ist auch die Stadt Schweinfurt vertreten. In der Mitgliederversammlung, so Pressesprecherin Anna Barbara Keck, sei zwar von Verkaufsabsichten die Rede gewesen, es habe aber keine näheren Informationen über Art und Umfang gegeben. Von diesem konkreten Verkauf wisse die Stadt seit Anfang Januar. Am 20. Januar sei auf Anfrage aus der Bayerischen Staatsbibliothek die Auskunft gekommen, das Konvolut enthalte keine wesentlichen Unikate, einer Ausfuhr stehe nichts im Wege. Oberbürgermeister Sebastian Remelé habe daraufhin Otto G. Schäfer gebeten, seine Beweggründe in einem Gespräch darzulegen. Das Gespräch habe bisher aber noch nicht stattgefunden.
Über den kulturhistorischen Wert der Bücher gibt es andere Meinungen: Falk Eisermann, Referatsleiter der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und zuständig für den Gesamtkatalog aller bekannten Wiegendrucke, hat auf Wunsch des Staatsarchivs Hamburg eine Stellungnahme zum Eintrag in die Hamburger Liste verfasst: „Die große Mehrzahl der aufgeführten Inkunabeln lässt sich ohne Weiteres als besonders bedeutsam erkennen, zum Teil ist den Stücken ein herausragender wissenschaftlich-kultureller Rang zuzumessen.“
Dies gelte aufgrund des Alters etwa für die Gutenberg-Bibel von 1457, auch wenn sie nur in Fragmenten vorhanden sei. Eisermann benennt außerdem zwei Unikate und besondere Sammelbände, einer davon „eine Symbiose von zum Teil extrem seltenen, deutschsprachigen, illustrierten Erzähltexten, wie es sie in dieser Form kein zweites Mal geben dürfte“. Auch die überwiegende Mehrheit der anderen Stücke sei „aufgrund ihrer Illustrationen und ihres Charakters als volks- und vor allem deutschsprachige Erzeugnisse des frühesten Buchdrucks als schützenswert einzustufen“.
Die Bibliothek, so Eisermann weiter, habe bereits seit langem den Ausverkauf der von ihrem Gründer mit großer Sorgfalt gesammelten und durch wissenschaftliche Publikationen erschlossenen Inkunabelzimelien betrieben. Dennoch müsse dieser „Restbestand, der selbst als solcher einen kulturellen Wert von unschätzbarer Dimension hat, als einzigartiges Ensemble betrachtet werden, dessen geschlossene Bewahrung und Erhaltung in Deutschland aus meiner Sicht dringend erforderlich ist“.
1987 und 1988 hat Otto Schäfer in Ausstellungen im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und in der Bayerischen Staatsbibliothek seine Schätze einer großen Öffentlichkeit vorgestellt. Titel: „Fünf Jahrhunderte Buchillustration – Meisterwerke der Buchgraphik aus der Bibliothek Otto Schäfer“. 1992/1993 folgte „Europäische Einbandkunst aus sechs Jahrhunderten“ in Schweinfurt, zu sehen im Museum, das damals noch Bibliothek Otto Schäfer hieß. Zu beiden Ausstellungen kamen opulente Kataloge heraus. Vergleicht man nun die Verkaufsliste – die in den Akten der Freien und Hansestadt Hamburg einsehbar ist und die Graf ins Internet gestellt hat – mit beiden Katalogen, finden sich rund 40 Übereinstimmungen.
Unter den verkauften Büchern ist etwa eine Ausgabe der Fabeln des Aesop, gedruckt von Johann Zainer in Ulm um 1476. Über dieses Buch schrieb Otto Schäfer 1976 selbst: „Dieses Buch gehört zu der Art . . ., die man nehmen muss, auch wenn einige Seiten fehlen. Meines Wissens gibt es nur noch zehn Exemplare des Ulmer Aesop, und es ist unwahrscheinlich, daß mir jemals noch ein Exemplar angeboten wird. (Es gibt nur ein einziges in den Vereinigten Staaten).“
Ein weiteres Spitzenstück ist das Beutelbuch der Katharina Röder von Rodeneck, eine Gebetbuch-Handschrift nach 1540, deren Einband in einen Beutel mündet, den man am Gürtel befestigen konnte. Im Katalog steht dazu: „1982 von Frau Ida Schäfer für ihren Mann zum 70. Geburtstag erworben“.
Über den Grund des Verkaufs gibt es keinerlei Angaben. Otto G. Schäfer äußert sich mit Blick auf juristische Aspekte nicht zu dem Vorgang. Bekannt ist, dass die Sammlung immer wieder Verkäufe getätigt hat, um Ankäufe zu finanzieren oder andere Sammlungsteile halten zu können.
Klaus Graf sieht jetzt die öffentliche Hand in der Pflicht: „Im Interesse der Wissenschaft müsste ein möglichst vollständiger Ankauf der jetzt angehaltenen Schweinfurter Stücke (beziehungsweise weiterer Bestände der Bibliothek Schäfer) für eine öffentliche Sammlung etwa durch die Kulturstiftung der Länder finanziert werden.“
Der Sammler
Das Museum Otto Schäfer in Schweinfurt ist dem Buch, der Grafik und dem Kunsthandwerk gewidmet. Die Büchersammlung Otto Schäfers (1912–2000) zählt zu den bedeutendsten europäischen Privatbibliotheken des 20. Jahrhunderts. Die Sammlung illustrierter Bücher – Illustrata genannt – verwahrt knapp 1000 Titel, die meist aus dem deutschsprachigen Raum stammen. Das Schwergewicht liegt bei den Frühdrucken: das 16. Jahrhundert ist mit über 500 Ausgaben vertreten, das 15. Jahrhundert mit weit über 200 Drucken, darunter auch einige Blockbücher und Einblattdrucke. Etliche Drucke aus diesem Bestand gelten als Unikate.
Einen Kern der Sammlung bilden die Inkunabeln oder Wiegendrucke. Unter Inkunabeln (von lateinisch incunabula – Windeln, Wiege, Ursprung) versteht man Drucke aus der Frühzeit (der Wiege) dieser Technik, also Arbeiten, die in den ersten 50 Jahren nach der Gutenberg-Bibel von 1454 entstanden. Seit 1991 sind unter anderem die Büchersammlungen in einem eigenen Museumsbau in der Judithstraße untergebracht. In den rund 450 Quadratmeter großen Schauräumen finden Dauer- und Wechselausstellungen statt. Im Bild: Otto G. Schäfer mit einem Porträt seines Vaters Otto Schäfer des Schweinfurter Künstlers Peter Wörfel. ArchivFOTO: Mathias Wiedemann