Etwa zweihundert Mal schauen Nutzer tagtäglich auf ihr Smartphone. Millionen Menschen kommunizieren via E-Mail und Messenger und lassen sich vom Navi leiten, wenn sie nicht wissen, wo es langgeht. Was aber, wenn man nicht gut sehen oder nicht hören kann? Oder wenn jede Treppe, jede Drehtür ein fast unüberwindliches Hindernis darstellt?
Für Menschen mit Behinderung ist die Digitalisierung des Alltags eine große Hilfe. Gleichzeitig erleben sie auch hier oft eine erneute Ausgrenzung. Diese Erfahrung macht Raúl Aguayo-Krauthausen, der sich für ein barrierefreies Internet einsetzt, täglich. Einerseits gibt es die Möglichkeit, über das Internet Informationen zu teilen und sich zu vernetzen, seit die Technik dafür bereitsteht. Krauthausen: „Man hat heute zahlreiche Möglichkeiten, kann sich Texte vorlesen lassen.“
Andererseits seien Menschen mit Behinderung von vielen Angeboten der digitalisierten (Wirtschafts)welt ausgeschlossen. „Versuchen Sie beispielsweise mal, über car2go ein behindertengerechtes Fahrzeug oder bei Airbnb eine barrierefreie Wohnung zu bekommen“, sagt Krauthausen.
Der ebenso eloquente wie streitbare Aktivist ist selbst jeden Tag im Rollstuhl auf den Straßen Berlins unterwegs und kämpft gegen die Ignoranz von manchen Herstellern und Mitmenschen. Schätzungen gehen davon aus, dass rund zehn Prozent der Bevölkerung mit irgendeiner Behinderung leben. Für die meisten großen Unternehmen repräsentieren sie eine zu kleine Zielgruppe. „Ohne öffentlichen Druck, auch vonseiten des Gesetzgebers, kann man nicht allzu viel erreichen“, stellt Krauthausen fest.
Von Resignation ist der als Redner auf Kongressen wie der re:publica gefragte Berliner jedoch weit entfernt. Als Moderator einer Radioshow, bei der Menschen mit Problemen anrufen konnten, wurde er mit Themen wie Armut und Ausgrenzung konfrontiert.
Schließlich gründete er mit Freunden den gemeinnützigen Verein Sozialhelden, der mit kreativen Ideen auf soziale Probleme aufmerksam macht und sie, so Krauthausen „im besten Fall beseitigt“.
Um sich nicht immer im gleichen Café treffen zu müssen, schrieben er und ein Bekannter auf, wo es in seiner Stadt barrierefreie Einrichtungen gibt und wo Menschen mit Handicap auf Hindernisse stoßen. Bald war die Idee geboren, diese Informationen online zugänglich zu machen. Wheelmap.org lebt vom Mitmachen. Nutzer können neue Orte hinzufügen, Fotos hochladen und Kommentare zur Rollstuhlgerechtigkeit verfassen. Heute ist daraus das größte Projekt seiner Art mit 530 000 Einträgen weltweit geworden.
Um mehr zu erreichen, müsse eine Bewegung entstehen, die Firmen, Entwickler und Medien überzeuge, mehr für Integration zu tun, fordert Krauthausen. So ist es nicht zuletzt dank der Initiative der Sozialhelden auf immer mehr Immobilienportalen möglich, gezielt nach behindertengerechten Wohnungen zu suchen. Doch es gibt laut Krauthausen noch viel zu tun: „Bei den zahlreichen Smartphone-Apps, die einem helfen, durch eine fremde Stadt zu navigieren, wird so gut wie nie über Barrierefreiheit informiert.“
App-Tipps
Wheelmap (iOS und Android, kostenlos): Die Onlinekarte Wheelmap.org als mobile App
MyHandicap 2.0 (iOS und IPhone, kostenlos): Wo befinden sich behindertengerechte Parkplätze und WCs in der Nähe? Welche Museen, Bibliotheken oder Restaurants sind per Rollstuhl erreichbar? Infos können über E-Mail, Facebook und Twitter geteilt werden.
Voice Over (iOS, vorinstalliert): Liest den aktuellen Bildschirminhalt vor und unterstützt Displays für Brailleschrift.
Talk Back (Android, vorinstalliert): Android-Geräte können gesprochene Antworten, akustische Signale und Vibrationsfeedback ausgeben. Die Funktion wird aktiviert, indem man sie unter „Bedienungshilfen“ einschaltet.
TextDetektiv (iOS, kostenlos): Liest einen mit der iPhone-Kamera aufgenommenen Text vor.
Greta/Starks (iOS und Android, kostenlos) Audiodeskription und Untertitel für barrierefrei produzierte Kinofilme. Webseite: www.gretaundstarks.de
BlindSquare (iOS, rund 30 Euro): Mit GPS und Informationen aus dem Location-Netzwerk FourSquare hilft die Navigations-App blinden und sehbehinderten Menschen bei der Orientierung.
TapTapSee (iOS und Android, 100 Bilder sieben Euro, die ersten 20 Bilder kostenlos): Was ist drin in der Flasche im Kühlschrank? Die Bildbeschreibungs-App erkennt Dinge auf Fotos und beschreibt sie. Text: haust