Moor, das klingt nach gespensterhaften Nebelschwaden, nach Ästen, die wie bleiche Knochen aus dem braunen Morast ragen, nach unheimlichem Glucksen, nach Bedrohung und Gefahr. Wer kennt wohl nicht die Ballade vom Knaben im Moor? „Schaurig ist's, übers Moor zu gehen“, beginnt Annette von Droste-Hülshoff die erste Strophe. Wie unschaurig kann es sein, in der Rhön übers Rote und Schwarze Moor zu spazieren – wenn die Sonne lacht.
„Früher konnte man an den Namen der Moore auch die Farbe der jeweiligen Landesregierung ablesen.“ Ökologin Julia Djabalameli schmunzelt. Zumindest das Rot beim Roten Moor ist schon länger kein Hinweis mehr, wer in Hessen das Sagen hat. Das gut eine halbe Autostunde entfernte Schwarze Moor im bayerischen Teil des Biosphärenreservats Rhön schon eher. Umgetauft werden die beiden rund 12 000 Jahren alten Moore jedoch nicht, wenn politische Mehrheiten sich ändern.
Immer dienstags fährt Julia Djabalameli von ihrem über 160 Jahre alten Spiegelshof in Melperts Richtung Bischofsheim zum Parkplatz Moordorf. Wie viele Besucher dort auf sie warten und mit ihr eine rund drei Kilometer lange, leicht zu bewältigende Wanderung durchs Rote Moor unternehmen möchten, weiß sie nicht. Eine Anmeldung ist nicht nötig. Es ist der suchende Blick, an dem die Biolandwirtin und Rhönschäferin mit iranischen Wurzeln ihre Leute erkennt.
Womöglich mag ein Besuch im Moor an düsteren und nebelverhangenen Tagen schaurig sein. An diesem sonnigen Vormittag, als eine Handvoll Leute sich mit Julia Djabalameli auf den Weg machen, zeigt sich die Rhön von ihrer schönsten Seite. Am Beginn des Moorlehrpfads spiegeln sich in der Oberfläche des Stauteichs der stahlblaue Himmel, hellgelbe Gräser und dunkelgrüne Bäume, am Ufer strahlen die violetten Wald-Weidenröschen, als hätte die Natur den Lichtschalter angeknipst. Die wenigen Enten lassen sich von neugierigen Besuchern nicht ablenken. Nichts stört die Ruhe. Es ist eine unwirklich scheinende Postkartenidylle, die aufgrund von Rettungsmaßnahmen entstand. Die Moorlandschaft wurde durch Entwässerung und Torfabbau beinahe zerstört. Der Stauteich ist Teil der Renaturierung.
Das Rote Moor liegt im gleichnamigen Naturschutzgebiet, in einer der Kernzonen des Biosphärenreservats Rhön, erläutert Julia Djabalameli. Das heißt, Besucher dürfen dort nur laufen, schauen, staunen, nicht Hand anlegen und etwa Heidelbeeren pflücken oder den Bohlensteg verlassen, der sich durch einen lichten Wald schlängelt. Er besteht überwiegend aus Karpatenbirken. Sie lieben nährstoffarme Boden, beste Voraussetzung also für Moorgebiete.
Mal stehen die Birken wie dünne Halme da, mal wachsen sie knorrig in die Höhe. Sonnenstrahlen suchen jede Lücke ins Dickicht, zaubern bizarre Lichtreflexe auf die schwarz-weißen Stämme und verwandeln am Boden die kleinen blaugrüngrauen Blätter der Rauschbeerenbüsche in einen silbrig glitzenden Teppich. Auch der „grüne Flokati“ gehört zum Moor, sagt Julia Djabalameli und zeigt auf die welligen Hügel des Torfmooses. Ohne diese Pflanze, die enorme Wassermengen speichern kann, gäbe es kein Hochmoor.
Immer wieder stoppt die Gästeführerin ihre kleine Gruppe an dem einzelnen Schautafeln und erzählt, wie das Moor entstanden ist, welche Tiere dort leben, was Biosphärenreservat bedeutet oder wie der Torfabbau beinahe das Rote Moor zerstört hätte. Am Ende des Wegs öffnet sich der Birkenwald wie ein Schaufenster und gibt den Blick frei auf den Heidelstein, auf das, was vom Hochmoor übrig geblieben ist und auf die Fläche, die einst abgetorft wurde: das Leegmoor. Im Lauf von 175 Jahren wurden schätzungsweise 700 000 Kubikmeter Torf abgebaut. Da ein Moor im Jahr ein bis zwei Millimeter wächst, würde es Jahrtausende dauern, bis das Große und Kleine Rote Moor seine ursprüngliche Höhe wieder erreicht. Vom Aussichtsturm aus erkennt man das Ausmaß des Torfabbaus.
In der Nähe des Dreiländerecks
Weitgehend vom Torfabbau verschont geblieben ist das Schwarze Moor nahe des Dreiländerecks, wo Thüringen, Hessen und Bayern aneinanderstoßen. Auch dort führt ein Bohlensteg durchs Gelände, vorbei an Nieder-, Hoch- und Hangmoorflächen, Sumpfgürteln, Mooraugen, verkrüppelten Moorkiefern – und 23 Informationstafeln. Das Schwarze Moor erfüllt die gängige Vorstellung von einer Landschaft, in der man nasse Füße bekommen und vom Erdboden verschluckt werden könnte – wie 1935 ein Wehrmachtsoldat. Erst 20 Jahre später wurde er als Moorleiche gefunden.
Der steinere Torbogen am Eingang des Schwarzen Moores ist ein beliebtes Fotomotiv. Er gehört nicht zu einer mittelalterlichen Burganlage, sondern war der Zugang ins Reichsarbeitslager der Nazi-Zeit. Ziel war der Bau der Hochrhönstraße. Dabei sollte auch das Schwarze Moor ausgetrocknet werden. Dieser Plan wurde bald wieder aufgegeben. Die Rhön wusste sich dank ihres rauen Klimas zu wehren und bewahrte die wilde Schönheit des Schwarzen Moores vor dem Untergang. Bereits 1939 wurde es unter Naturschutz gestellt.
Rotes und Schwarzes Moor
In der Hessischen Rhön liegt das Rote Moor direkt an der Bundesstraße 278 zwischen Bischofsheim (Bayern) und Ehrenberg. Bis Ende Oktober führt jeden Dienstag Julia Djabalameli durch das einzige und größte Hochmoor Hessens; darüber hinaus an zwei Terminen in diesem Jahr auch am Freitag, 8. Juni und 17. August. Treffpunkt ist jeweils um 10 Uhr auf dem Parkplatz Moordorf beziehungsweise am „Haus am Roten Moor“. Der rund dreieinhalb Kilometer lange Spaziergang (1,2 Kilometer verlaufen auf einem Bohlensteg) dauert ungefähr zwei Stunden. Die Stecke ist auch für Rollstuhlfahrer geeignet. Mehr Informationen, auch über andere Führungen und Themenwanderungen, gibt Julia Djabalameli unter Tel. (0 66 83) 91 78 59; mobil (01 51) 56 55 71 99; E-Mail: djabalameli@ t-online.de; Information im Internet: www.spiegelshof.de Immer samstags um 10 Uhr gibt es in der warmen Jahreszeit eine geführte Wanderung durch das Schwarze Moor. Treffpunkt ist der steinerne Torbogen neben dem Eingang. Das Schwarze Moor liegt direkt an der Hochrhönstraße zwischen Bischofsheim und Fladungen und ist mit einer Größe von 60 Hektar das größte Hochmoor der Rhön. Der Naturlehrpfad „Schwarzes Moor“ führt über einen 2,7 Kilometer langen Bohlensteg (für Rollstuhlfahrer geeignet). Über 20 Tafeln informieren über die Entstehung des Moores sowie über die Natur- und Tierwelt. Wer das Moor von oben betrachten möchte, der steigt auf den rund 17 Meter hohen Aussichtsturm aus Holz und Stahl am Rande des Moores.
Die Infostelle am Schwarzen Moor ist täglich zwischen 11 und 17 Uhr (im Winter bis 16 Uhr) geöffnet. Dort werden viele Broschüren und Bücher über Naturpark und Biosphärenreservat Rhön angeboten. Weitere Informationen und Veranstaltungshinweise gibt es im „Haus der Langen Rhön“ in Oberelsbach unter: Tel. (0 97 74) 91 02 60.