ESC-Vorentscheid: Er gewann die Casting- Show "The Voice of Germany";. Jetzt will der 28-jährige Gemündener für Deutschland beim größten Musikwettbewerb der Welt singen. Am Donnerstag entscheiden die Fernsehzuschauer.
Optisch wirkt der Mann mit dem Kapuzenpulli, der hohen Stirn und dem wilden Vollbart eher unscheinbar. Aber er hat eine Stimme wie Joe Cocker. Andreas Kümmert könnte ein ganz Großer werden, da sind sich Experten wie sein Coach Max Herre und viele Tausend Fans einig, als der „Rocket Man“ im Dezember 2013 haushoch bei „The Voice of Germany“ gewinnt. Nach dem Triumph setzt die Maschinerie zur Verwertung der Casting-Show ein. Ein Album muss her, natürlich. Und auch eine Tour. Die großen Hallen sind gebucht, vielfach sind die Konzerte ausverkauft. Am „The Voice of Germany“-Sieger wollen im Frühling 2014 viele mitverdienen. So ist nun mal das Geschäft.
Andreas Kümmert freut sich über die Hitparaden-Erfolge, das Album „Here I am“ schafft es bis auf Platz drei, die Single „Simple Man“ wird gar Nummer zwei in Deutschland. Doch er scheint sich mit all dem Rummel um seine Person nicht sonderlich wohl zu fühlen. Er fremdelt mit den ganz großen Bühnen, mit Show und Kameras. Man spürt es, man hört es. Er kränkelt, sagt einige der Großkonzerte ab. Mit öffentlichen Äußerungen hält sich der Gemündener zurück, er gibt nur wenige Interviews. Weil es manchmal halt sein muss. „The Voice of Germany“ scheint er am liebsten vergessen zu wollen, auf seiner Homepage im Internet findet die Show nicht mehr statt.
Man hat das Gefühl, Kümmert will eigentlich nur singen. Sein Ding machen, das heißt Live-Konzerte spielen in Kneipen und Clubs, ohne viel Firlefanz, ab und an ein Open Air, aber in möglichst vertrauter Umgebung, mit bekannten Gesichtern vor und hinter der Bühne. So wie er es vor dem TV-Ruhm getan hat. Alle, die ihn hören, sind hingerissen wie eh und je. Egal ob in der Batschkapp in Frankfurt, im Stattbahnhof Schweinfurt oder beim Umsonst & Draußen in Würzburg, der 28-Jährige begeistert mit seiner Reibeisenstimme und den Songs von Cocker, James Brown, Elton John oder den Beatles. Und auch mit den eigenen Stücken.
Der Künstler selbst scheint froh, dem Glitzer und dem Glamour der Popwelt entkommen zu sein. Doch dann heuer im Januar die Nachricht, Andreas Kümmert nimmt am deutschen Vorentscheid für den 60. Eurovision Song Contest in Wien teil. „Ich freue mich sehr, dabei sein zu dürfen. Ich sehe es als eine große Chance, meine Songs einem breiten Publikum präsentieren zu können“, wird Kümmert auf der Eurovision-Seite im Internet zitiert. Musiker, die den Gemündener kennen, sind erstaunt. „Warum stellt er sich wieder ins Rampenlicht, warum tut er sich das nach der Erfahrung mit ,The Voice' an?“, wundert sich einer, der ihn die letzten Monate beobachtet hat.
Kümmert selbst fragen, das wäre die Lösung. Doch die Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen sind mühsam. Er sei nicht so ein Fan von Presse, lässt er wissen. Interviewanfragen weist er zurück. Dabei will er nun beim größten Musikwettbewerb der Welt mitmachen, dem Eurovision Song Contest (ESC), den jedes Jahr über 150 Millionen Menschen live im Fernsehen ansehen. Der früher „Grand Prix“ genannte Sangeswettstreit ist ein paar Nummern größer noch als „The Voice of Germany“, der Trubel auch. Ganz abgesehen von der Frage, ob Blues und Rock a la Kümmert das Richtige sind für ein Spektakel, bei dem neben sängerischen Fähigkeiten Show-Qualitäten mindestens genauso gefragt sind.
Mike Klein ist Konzertveranstalter in der Region. Der Schweinfurter kennt Andreas Kümmert gut, für den 20. März hat er ihn als „Special Guest“ für ein Konzert mit Toto-Legende Bobby Kimball in Veitshöchheim gebucht. Klein ist beeindruckt. „Andreas ist bescheiden geblieben, er lebt allein für seine Musik“, der Erfolg bei der Casting-Show habe ihn nicht aus der Bahn geworfen. „Er macht einfach weiter sein Ding.“ Aber wie passt dann ein Auftritt beim ESC, wo noch mehr Augen als bei „The Voice“ auf ihn gerichtet sind? „So eine Chance lässt jeden Musiker kribbeln“, glaubt Klein. Und beim ESC genieße der Gemündener vermutlich ganz andere künstlerische Freiheiten als im Umfeld der Sat1-/Pro7-Show. „Da reden nicht so viele rein“, ist der Konzertexperte sicher.
Singer-Songwriter wie Kümmert seien derzeit generell gefragt, weiß Klein. „Der Trend geht wieder weg von Plastik.“ Er erinnert an den Briten Ed Sheeran, der in seiner Heimat die Hitparaden stürmt, aber auch hierzulande schwer angesagt ist. Sheeran ist 24, er tritt auf nur mit seiner Gitarre und singt Balladen mit unverwechselbarer Stimme. „So wie Andreas“, sagt Klein, der gute Chancen für den 28-Jährigen sieht, den Vorentscheid zu gewinnen. Für ihn ließen sich zum einen die vielen jungen Leute begeistern, die bereits bei „The Voice“ für ihn anriefen, zum anderen aber auch die „Best-Ager“, die Frauen und Männer im mittleren Alter, die Joe Cocker und die Beatles mögen, und sich so einen erdigen Rocker auch einmal beim einst als Schlagerfest verspotteten Song Contest vorstellen können.
Mit zwei Liedern tritt Kümmert in Hannover an. „Home is in my Hands“ ist eine Ballade mit Schwof-Qualität. „Alles am rechten Platz, wenn auch etwas zaghaft“, sagt Daniel Biscan. Der Ochsenfurter Musiker hat ESC-Erfahrung. 2003 komponierte er „Für immer“, den Song, mit dem die Gruppe Vibe beim Vorentscheid antrat. Für Kümmert sieht Biscan, der alle Acts durchgehört hat (siehe unten) gute Chancen. „Er ist ein Publikumsliebling“. Besser als „Home is in my Hands“ gefällt dem Kollegen aber der zweite Song „Heart of Stone“. „Die Nummer im 70er Stil geht gut nach vorne. Der Refrain bleibt hängen.“
Ob das reicht für das Ticket nach Wien? Im Internet kursieren Umfragen, die Kümmert vorne sehen. Auch der Journalist Jan Feddersen zählt ihn neben den „Mittelaltermusikanten“ Faun und dem Duo Mrs. Greenbird, das einst die Casting-Show „X-Factor“ gewann, zu den Favoriten. ESC-Experte Feddersen rühmt die Stimme des Mainfranken („Er hat den Blues drauf, und den Soul auch“), er weist Kritik an seinem angeblich wenig telegenen Auftreten als „fies“ zurück. Feddersen gibt aber auch zu bedenken, ob der 28-Jährige nervenstark genug ist, den Rummel, den ein Sieg in Hannover ohne Zweifel auslösen würde, durchzustehen. Donnerstagabend wissen wir mehr. Und am Samstag tritt Andreas Kümmert wieder in der Heimat auf. Ganz bodenständig im „Rio“ in Karlstadt.
Unser Lied für Österreich
Live aus Hannover überträgt das Erste am Donnerstag, 5. März, um 20.15 Uhr den deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest (ESC), der am Samstag, 23. Mai, in Wien ausgetragen wird. Die Moderatorin ist Barbara Schöneberger. Im Showteil tritt unter anderem die Österreicherin Conchita Wurst, die ESC-Gewinnerin von 2014, auf.
So wird entschieden: Jeder Künstler hat zwei Songs im Gepäck. Nach der ersten Runde, in der alle acht Teilnehmer je ein Lied vorstellen, stimmt das TV-Publikum ab, welche vier eine Runde weiterkommen. Diese vier präsentieren dann einen zweiten Titel. Nun wählen die Zuschauer die zwei Songs für das Finale. Dort stehen die beiden Acts mit den meisten Stimmen zur Abstimmung. Allein das Fernsehpublikum entscheidet per Telefon- und SMS-Voting, wer Deutschland in Wien vertritt. Die Nummern gibt es in der Sendung. Text: Micz