Ich bin am 8. Mai 1940 in Würzburg geboren. An meinem 5. Geburtstag, dem 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation Deutschlands, dem Ende des Zweiten Weltkrieges, musste ich mit meiner Mutter, einer Bekannten, meinem siebenjährigen Cousin Thomas und meiner elf Monate alten Schwester Christel im Kinderwagen von Ochsenfurt nach Würzburg laufen.
Es war ein sehr warmer fast hochsommerlicher Tag.
Unser Haus in Grombühl in der damaligen Neumannstraße 6 (heute Ernst-Reuter-Straße) wurde am 23. Februar 1945 beim Angriff auf den Würzburger Hauptbahnhof von einer Sprengbombe getroffen. Es war in der Mittagszeit, wir saßen alle im Keller, hatten aber Glück, dass die Sprengbombe genau die Brandmauer zwischen unserem und dem Nachbarhaus traf und das Haus nur bis zur ersten Etage zerstört wurde und wir dadurch alle gerettet wurden. Im gegenüberliegenden Haus waren alle Bewohner tot.
So kam es, dass meine Mutter mit uns beiden Kindern mit einem Güterzug nach Ochsenfurt zu den Tanten meines Vaters fuhr. Diese waren nicht sehr erfreut, da sie bereits schon Zwangseinquartierungen hatten.
Am 17. März 1945, einen Tag nach der fürchterlichen Bombardierung Würzburgs, fuhr meine Mutter mit dem Fahrrad in das brennende Würzburg, um nach ihren Angehörigen zu suchen und fand dann im Hofgartenbunker meinen siebenjährigen Vetter Thomas, den sie auf dem Fahrrad mit nach Ochsenfurt nahm.
Am 8. Mai 1945 hatte also meine Mutter den Entschluss gefasst, sich mit Leiterwagen, Kinderwagen und uns drei Kindern auf den Weg nach Würzburg in die Ruine unseres Hauses zu machen. Damals durfte man sich nur drei Kilometer vom Wohnort entfernen. Um 19 Uhr war Sperrstunde, das hieß, es durfte sich ab diesem Zeitpunkt niemand mehr auf der Straße befinden.
Unterwegs, zwischen Gossmannsdorf und Winterhausen, durften wir Kinder auf einem Fuhrwerk für kurze Zeit mitfahren.
Wir kamen zur Löwenbrücke. (Noch vor Kriegsende waren alle Brücken von der deutschen Wehrmacht gesprengt worden, um die Amerikaner aufzuhalten.) Mittlerweile hatten die Amerikaner schon provisorische Holzbrücken für ihren Militärverkehr angelegt, wir durften aber nicht hinüber gehen und liefen dann weiter bis zur Alten Mainbrücke, die ebenfalls provisorisch mit Holzbalken hergerichtet war.
Auch dort erhielten wir eine Absage, aber nachdem unsere Bekannte zu weinen anfing, bekam eine danebenstehende Frau Mitleid mit uns und erklärte auf Englisch dem Posten unsere Lage. Er erlaubte uns dann, als gerade kein Fahrzeug kam, die Brücke zu überqueren. Die Straßen waren menschenleer und wir waren heilfroh, als wir unbeschadet in unserer Ruine ankamen. Die Hälfte des Hauses war stehen geblieben und dort bezogen wir Zimmer, gruben aus dem Schutt Matratzen aus und verschlossen die Fenster mit Holzbrettern.
Es gab kein Wasser und keinen Strom. Meine Mutter holte mit zwei Eimern, die sie in den Kinderwagen stellte, im Elektrizitätswerk in der Prymstraße sauberes Wasser. Nicht trinkbares Wasser konnte man am Wagnerplatz mit einem Eimer an einer Schnur aus einem Wasserloch fischen.
Das war unser 8. Mai 1945.
Die Autorin: Ursula Mussoni, geborene Bub, war 38 Jahre bei der Baywa tätig. Sie hat zwei Töchter und vier Enkel. Ihr Mann stammt aus Rimini in Italien.