
Diesen Ausblick werde ich mein Leben lang nicht vergessen: Rechts erstreckt sich ein unendlich scheinendes graues Häusermeer bis in den Dunst, links türmen sich die Wolkenkratzer der Geschäftsviertel auf. Bis zum Horizont ist das Ende der Millionenmetropole nicht in Sicht. Tokio, das ist die Hauptstadt Japans und zugleich Zentrum der größten Metropolregion der Welt.
Doch Japan hat noch viel mehr zu bieten: Gepflegte Tradition und modernste Technik, riesige Hochhäuser und kleine Hütten, hektische Straßenkreuzungen und ruhige Parks, volle U-Bahnen und bequeme Fernverkehrszüge, überkorrekte Beamte und lockere Priester. Kurz: Japan ist ein so facettenreiches Land, dass ich nach zwei Wochen meine, schon ein ganzes Jahr in Japan erlebt zu haben.
Ich bin 16 Jahre alt, komme aus Höchberg bei Würzburg und habe mich bei der Robert-Bosch-Stiftung als Jugendbotschafter für Japan beworben. Schließlich bin ich tatsächlich als Jugendbotschafter ausgewählt worden und durfte Ende Oktober mit neun Jugendlichen aus ganz Deutschland nach Japan fliegen und in die japanische Kultur und den japanischen Alltag eintauchen. Gleichzeitig war es unsere Aufgabe, bei offiziellen Terminen in Japan Deutschland zu repräsentieren.
Die ersten neun Tage waren wir in Tokio in einer Jugendherberge im 18. Stock untergebracht. Wir waren bei vielen Unternehmen, Universitäten und Institutionen eingeladen und konnten so viele Bereiche des Landes kennenlernen und mit Fachleuten diskutieren. Wir waren unter anderem beim Empfang in der Deutschen Botschaft, im japanischen Außenministerium und bei verschiedenen Experten. Dabei ging es beispielsweise um die Energiepolitik nach Fukushima, die Beziehungen zu China, den Arbeitsalltag in Japan oder das japanische Bildungssystem. Passend dazu nahmen wir auch an einer Englischstunde in einer High School teil und trafen Germanistik-Studenten in Tokio.
Natürlich durften auch etwas Sightseeing und typische japanische Aktivitäten nicht fehlen. So besichtigten wir in Tokio zum Beispiel traditionelle Shinto-Schreine, Tempel aber auch topmoderne Technik- und Lifestyle-Viertel. Sogar einen Ausflug in die alte Kaiserstadt Kyoto haben wir gemacht. Und wir haben an einem Taiko-Workshop teilgenommen, durften also selbst auf traditionellen japanischen Trommeln spielen. Einer der Höhepunkte war der Besuch in einem echten Onsen, einer Art Therme, die aus natürlichen heißen Quellen gespeist wird und bis zu 41 Grad heiße Becken hat.
Nach diesen erlebnisreichen Tagen mit der Gruppe trafen wir schließlich unsere Gastfamilien. Dort durften wir für fünf Tage das japanische Alltagsleben kennenlernen. Meine Gastfamilie lebt in einem Außenbezirk von Tokio. Ich hatte drei ältere Gastbrüder, von denen zwei perfekt Englisch sprachen. Einen Tag lang begleitete ich einen meiner Gastbrüder, der Anglistik studiert, an die Uni. Und einen Tag lang ging ich in eine High School, wo ich unter anderem am Kalligrafie- und Judo-Unterricht teilnahm.
Die Höhepunkte meines Besuchs bei der Gastfamilie waren aber die Besichtigung des Tokyo Sky Tree und ein Ausflug in die Nähe des Fuji. Vom Sky Tree, seit seiner Eröffnung im Mai 2012 der höchste Fernsehturm der Welt, hatte ich eine atemberaubende Aussicht über Tokio. Am Fuji, dem höchsten und bekanntesten Berg Japans, hatte ich großes Glück: Ich konnte an zwei Tagen den Vulkan mit der markanten Schneekuppe bei außergewöhnlich klarer Sicht sehen. Als wir an einem Abend über einen Bergpass fuhren, senkte sich gerade die glühende Sonne neben dem Fuji und hüllte ihn in einen roten Schleier– ein unvergesslicher Anblick.
Kurz vor meiner Abreise aus Japan hatte ich noch ein Erlebnis der besonderen Art: ein kleines Erdbeben. Als ich am frühen Morgen aufwachte, wackelte mein Bett deutlich spürbar hin und her. Allerdings kam nichts zu Schaden, und nach einigen Sekunden war der Spuk auch wieder vorbei. Wie ich später herausfand, hatte das Beben gerade einmal eine Stärke von 4,3 auf der Richterskala – solche Beben kommen in Japan üblicherweise etwa einmal in der Woche vor. Trotzdem war es für mich eine eindrucksvolle Erfahrung.
Das Programm „Jugendbotschafter nach Japan“ wird seit 2009 von der Robert-Bosch-Stiftung angeboten und gemeinsam mit der Austauschorganisation YFU organisiert. Mehr Infos dazu gibt's unter www.bosch-stiftung.de/jugendbotschafter