Es hätte, sagen wir, schrecklich werden können: Ein Einfamilienhaus, die gepflasterte Garageneinfahrt, Fußballrasen, drum herum die Hecke. Nackte Geometrie, kahle Neubausiedlungs-Akkuratesse. Doch das, was ein Foto aus der Oberstreuer Kreuzstraße aus den 1970er Jahren noch zeigt, ist nicht eingetreten. Wer heute zwei Schritte von der gepflasterten Hofeinfahrt nach links in den Vorgarten tritt, der fällt – wie Alice im Wunderland – mit einem Mal in eine andere Welt. Mannshoch stellt sich die Wilde Karde in den Weg, an deren Blütenständen sich die Hummeln ergötzen. Lange Gräser umsäumen die Arme eines Gartenteichs. Die orangenen Tagetes-Blüten stehen als Warnsignal am Rand.
Über knorrige Bohlenstege geht es tiefer hinein in das Gartenreich von Elisabeth Damm. Die gelbe Königskerze stemmt sich mit ihren ährigen Blütenständen in die Hitze, die schon am Vormittag herrscht. Jede einzelne Blüte wird Elisabeth Damm einsammeln, weil sich Wundersames zubereiten lässt, das im kalten Winter helfen wird. Vorbei geht es an Seerosen, an Taglilien und an blaulila leuchtenden Clematis-Büschen. Ganz hinten leuchtet schon das Kornblumenblau der Wegwarte.
Wer die wenigen Schritte bis hierher gegangen ist, der spürt sofort, dass hier schon lange nicht mehr mit Lineal und Zirkel gedacht wird. Freilich gibt es die ordnende Hand von Elisabeth Damm. Aber der Garten ist auch ein Reich der freien Entfaltung. „Die Wilde Karde darf heuer bleiben“ ist so ein Satz, den die Hobbygärtnerin an vielen Stellen – mit abgewandelten Pflanzennamen – sagt. Was der Wind heranweht, darf wachsen, wenn es den gesamten Organismus dieses Hausgartens nicht stört.
Naturnahes Gärtnern ist das Thema der Oberstreuerin, die aus einer Landwirtsfamilie stammt und bei Mutter Ottilie im Garten des Bastheimer Geburtshauses mit der Leidenschaft fürs Gärtnern sozusagen bestäubt wurde. „Mein Garten wird biologisch bewirtschaftet mit natürlicher Schädlingsbekämpfung“, erklärt die Kräuterpädagogin.
Das fängt zum Beispiel in der Weinlaube an, unter der die Fachfrau, die einen beachtlichen Ruf im Landkreis und darüber hinaus genießt, ihre Gärtnerkurse für Privatpersonen, Vereine und Gruppen abhält. Von der Decke hängt eine stoffummantelte übergroße Dose, aus der nach unten eine Strauchtomate wächst. „Der Duft vertreibt stechende Störenfriede“, erklärt Elisabeth Damm, während über ihr das grüne Weinlaub die Sommersonne mildert. In den Hochbeeten sieht man die Gärtner-Philosophie deutlich. Zwischen den dicken Knollen vom erntereifen Fenchel oder neben den Tomatenstauden, Mohrrüben und sonstigen Gemüsesorten wachsen unbeirrt Blumen mit empor. Immer sind es Sorten, die einen Schädling davon abhalten, das Gemüse überhaupt erst anzusteuern. Als ausgebildete Gartenbäuerin und Kräuterpädagogin hat sie sich einen reichen Wissensschatz angesammelt, damit ihr grünes Reich mit Mitteln der Natur gedeihen kann. „Viel bilde ich mich in Veitshöchheim fort“, erklärt die Rhönerin.
Das Abenteuer Gärtnern begann 1974 mit dem Hausbau im Oberstreuer Neubaugebiet. In den 1980er Jahren entwickelte sich ein Naturgarten. „Mit 16 Jahren kam mein Sohn Matthias und forderte einen Gartenteich“, schmunzelt Damm. Der beherbergt seit 25 Jahren nun nicht nur Seerosen und Binsengräser. Auch Frösche, Salamander und Libellen fühlen sich in ihm und um ihn wohl. Später wurde noch Nachbargrund erworben, damit sich die Gartenträume weiter entfalten konnten. Währenddessen erzog sie mit ihrem Mann Hermann vier Kinder, die es fast in alle Welt verstreut hat. Bis nach Seattle sind Mutters Gartenratschläge gefragt, wohin es Petra Damm verschlagen hat.
Zur erweiterten Gartenfläche gehört jetzt ein aus Regenwasser gespeister Teich, aus dem das Wasser zum Gießen kommt. Ein paar Schritte entfernt wuchert es bunt im Wildkräutergarten. Johanniskraut, die Pimpernelle, die Wegwarte, roter Sonnenhut und Spitzwegerich, Schafgarbe, Oregano und wilde Möhre: Ein buntes Allerlei wächst hier. Die Kräuterpädagogin, die diesen Titel nach zweijähriger Ausbildung an der Gundermannschule absolviert hat, bereitet aus dem, was dieser Garten liefert, Tees, Tinkturen, Balsam oder Gewürzsalz.
In den vielen Jahren ihres leidenschaftlichen Gärtnerns hat sie sich nicht nur durch die Tage der offenen Gartentür einen Bekanntheitsgrad erworben. Auch wenn die Familie mit ihrem üppigen Angebot praktisch Selbstversorger ist, so bleibt noch genügend übrig für die Selbstvermarktung ihrer biologischen Erzeugnisse.
Das erfordert freilich viel Zeit. „Im Frühjahr geht die Arbeit im Garten los. Jetzt im Sommer sind es sechs bis acht Stunden täglich“. Denn zur Gartenarbeit gehört nun auch die Zubereitung der Produkte. Da gibt es praktisch zu jeder Jahreszeit genug zu tun für die 60-Jährige, die seit 20 Jahren auch Bienen züchtet, was gut für die Blumen und Kräuter ist. Solange sie schon werkelt und schafft in ihrem Garten, so oft haben sich Trends und Moden des Gärtnerns geändert. Und genauso viele Generationen hat sie in Rhön-Grabfeld mit den Entwicklungen hin zu einem naturnahen Garten begleitet. Und damit auch weiter Freunde für das Gärtnern gefunden werden, hat Elisabeth Damm kleine Verführer in ihrem Gartenreich versteckt.
Zum Beispiel die schmackhafte Johannisbeer-Tomate, die wirklich nicht viel größer ist als eine Beere. Naschgemüse heißt dieser Trend. „Die Enkel pflücken sich gerne davon“, sagt Elisabeth Damm.
Privatgarten Oberstreu
Hobby-Gärtnerin ist vielleicht der falsche Begriff für Elisabeth Damm. Mittlerweile ist sie und ihr Garten abonniert auf den jährlichen Tag der offenen Gartentür. Ihre Kurse für Privatleute, Gruppen und Vereine zu Themen wie Anlage eines Hochbeets oder einer Kräuterschnecke, zu Naschgemüse oder mediterranen Kräutern und sind sehr beliebt. Infos und Anmeldung: Tel. (0 97 76) 10 76. www.naturnahes-gaertnern.de
Buchtipp: Mit dem Buch „Der Selbstversorger“ von Wolf-Dieter Storl (GU Verlag) kann jeder ganz einfach erlernen, sich von dem zu ernähren, was im eigenen Garten wächst. Der Autor selbst lebt nach diesem Prinzip und versorgt sich und seine Familie seit Jahrzehnten selbst auf seinem Einödhof im Allgäu.
ONLINE-TIPP
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