Er muss nicht überlegen, wie und wo er die Zeit verbringt. Wolfgang Schmidt trainiert seit 1965 die Turner der Schweinfurter Turngemeinde. Auch ist Schmidt für den Verein und seine Geschäftsstelle ein Mann für alle Fälle. „Ich will etwas an die Gesellschaft zurückgeben“, sagt der 77-Jährige gleich zweimal beim Pressegespräch. Dies hat er bereits reichlich getan. An ein Aufhören denkt er nicht.
Der Maschinenbauingenieur kam im Herbst des Jahres 1964 nach Schweinfurt, arbeitete beim „Kufi“. 1937 geboren hatte es für den jungen Wolfgang in den Zeiten des Krieges keinen Sport, der damals Turnen oder Leibesertüchtigung hieß, gegeben. Und auch das Wort „Turnen“ war in seiner Kindheit noch keine 150 Jahre alt, kreiert im Jahr 1807 von TurnvaterFriedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852).
Dieser hatte die Gymnastik um Übungen am Reck und am Barren erweitert – für mehr Fitness und zur Schulung der koordinativen Fähigkeiten. Dieses „Turnen“ etablierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Schulen.
Gleichzeitig entstanden die Turnvereine, die landauf, landab politische Ziele, darunter vor allem die Gründung eines deutschen Nationalstaates, verfolgten. Ende des 19. Jahrhundert bekam das Turnen mit dem Sport und dessen Spezialisierung auf Disziplinen Konkurrenz.
Als Wolfgang 1947 zum Turnverein in Meisenheim am Glan im Nordpfälzer Bergland kam, gab es dort „Turnen und fertig aus“. Nach dem Umzug suchte sich Wolfgang Schmidt in Schweinfurt einen neuen Verein. Die Turngemeinde gefiel ihm. Diese hatte eine eigene Halle und eine gute Kameradschaft, so Schmidt. Ab 1965 turnte Schmidt in Schweinfurt und noch im gleichen Jahr stellte er sich als Trainer zur Verfügung.
Dass heute die Turngemeinde (mit 3000 Mitgliedern zweitgrößter Sportverein in Unterfranken mit knapp 30 Abteilungen) im Turngau Schweinfurt-Haßberge der wichtigste Verein ist, dass am Lindenbrunnenweg von sechs bis über 90 Jahren geturnt wird, das ist mit ein Verdienst von Wolfgang Schmidt, der als Aktiver seinen letzten Wettkampf beim Deutschen Turnfest in Berlin im Jahr 2005 bestritt.
Trainiert auf Wettbewerbe werden auch bei der „Gemee“, wie die Schweinfurter die „Turngemeinde Schweinfurt 1848“ nennen, heute nur Kinder und Jugendliche, keine Erwachsenen mehr. Wenn mit 18, 19 Jahren das Abitur geschrieben sei, würden die jungen Erwachsenen neue Wege gehen, sagt Schmidt.
Als Trainer kommt Schmidt zweimal in der Woche in die Halle, jeweils 90 Minuten lang. Mit Kollegen teilt er sich dann Aufsicht und Schulung von jeweils 25 Jungen beim Bodenturnen, am Seitpferd, an den Ringen, am Barren oder etwa am Reck. Dieses Angebot ist so alt wie die Turngemeinde – also 167 Jahre.
„Geändert haben sich nur die Matten (sicherer durch Schaumstofffüllung) und die Sprungbretter (größerer Federeffekt)“, so Schmidt. Abwechslung im Training beschert der Einsatz von Trampolinen, oder auch die Teilnahme an modernen Wettkämpfen, für die sowohl das Schwimmen wie der Staffellauf zu trainieren ist.
Dass sich das Turnen bei der Gemee nicht zu einer ausschließlichen Domäne der Frauen entwickelt hat, dürfte an dem Angebot liegen, das mit dem Eltern- und Kind-Turnen für 1-Jährige beginnt und mit dem Kleinstkinderturnen bis zum Turnen fortgeführt wird. So sind ein Drittel aller Kinder in Schweinfurt, die im Alter bis fünf Jahre bei einem Verein gemeldet sind, Mitglieder der TG.
Anfang der 1990er Jahre, Wolfgang Schmidt war 57 Jahre alt, musste er wie viele andere Führungskräfte bei Kugelfischer gehen – in den Unruhestand. Seither hat er sich noch stärker in und für die Turngemeinde engagiert. Er hilft im Büro, organisiert Wettkämpfe und Feiern, ist 200 Tage im Jahr für seinen Verein unterwegs, leistet pro Jahr um die 800 Stunden – ehrenamtlich.