Für Generationen öffneten oder schlossen sie Türen ins Berufsleben. Denn Schulnoten gelten als Maßstab bei Ausbildung oder Studium. Sind sie nicht gut genug, senkt sich so mancher Daumen.
Nun aber könnte in Klassenzimmern nach dem Motto unterrichtet werden: Schulnoten müssen draußen bleiben. Es wäre eine Reaktion auf den zunehmenden Einfluss der Künstlichen Intelligenz (KI), die für den Nachwuchs das Denken übernehmen könnte. Und wer will das dann zweifelsfrei beweisen?
KI: Worum handelt es sich dabei?
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik beschäftigt sich aus politischer Sicht mit der Thematik. Hier wird KI so definiert: Der Begriff steht für "die Technologie und die wissenschaftliche Disziplin, die mehrere Ansätze und Techniken, wie zum Beispiel maschinelles Lernen, maschinelles Schließen und die Robotik umfassen".
Bei KI-Systemen handele es sich um "Software- und Hardwaresysteme, die Künstliche Intelligenz nutzen, um in der physischen oder digitalen Welt ‚rational‘ zu handeln". Sie würden "auf Grundlage von Wahrnehmung und Analyse ihrer Umgebung agieren" – und zwar "mit einem gewissen Grad an Autonomie, um bestimmte Ziele zu erreichen".
Das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass dank der KI mit Smartphones gesprochen werden könne, es selbstfahrende Autos gebe und Logistikunternehmen autonom fliegende Drohnen einsetzen würden. Das IT-Unternehmen IBM schreibt kurz und bündig: "Künstliche Intelligenz nutzt Computer und Maschinen, um die Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeiten des menschlichen Verstandes nachzuahmen."
KI: Welche Auswirkungen hat sie auf die Schule?
KI beeinflusst also schon jetzt das tägliche Leben. Im Beruf genauso wie in der Freizeit. Und auch in der Schule wird ihr Einfluss wohl immens sein, auch wenn sich das noch nicht seriös vorhersagen lässt. Die KI dürfte dem Unterricht viele Vorteile bescheren, aber ebenso auch Nachteile. Sie sollte die individuelle Förderung der Stärken ebenso unterstützen wie die Arbeit an den Schwächen.
Zugleich schwingt die Befürchtung mit, findige und auch faule Schüler könnten KI dazu nutzen, um sich das Denken abnehmen zu lassen. Quasi unerlaubtes Outsourcing. Damit könnte es für die Lehrer schwierig bis unmöglich werden, zu erkennen, welche Leistung das Schulkind selbst erbracht hat und wann KI am Werk war.
So kamen schon Diskussionen auf, ob unter diesen Gegebenheiten Hausaufgaben und Schulnoten überhaupt noch zeitgemäß wären. Schließlich bestehe jedes Mal die Gefahr, dass sich der Schüler oder die Schülerin mit fremden Federn schmückt und damit das Leistungsbild der Klasse verwässert werden würde.
Sicher ist: Aufgrund der vielen Variationen von KI-Programmen besteht in den verschiedensten Aufgabenfeldern die Möglichkeit, sich von der KI helfen oder sie gleich die komplette Arbeit übernehmen zu lassen.
KI in der Schule: Gibt es bald keine Noten mehr?
Das Ende des bislang bekannten Notensystems fordert der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) als Reaktionen auf den Vormarsch der KI. "Wir müssen einsehen, dass unser Leistungssystem oldschool ist", betonte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann unter anderem in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa): "Wir müssen endlich mal aufhören, nur die Note als allein glückselig machend zu sehen."
Ihre Forderung hinterlegte Fleischmann auch in Gesprächen mit dem Bayerischen Rundfunk (BR) und dem ZDF. Dabei warnt sie vor einer Verbotsdebatte, zumal fremde Hilfe kein neues Schulphänomen sei: "Früher hat man den Opa gefragt, jetzt fragt man ChatGPT." Einen Lösungsansatz sieht Fleischmann darin, die neuen Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen. Heißt: "Wenn die Kinder ihr Wissen woanders herkriegen, dann müssen wir uns überlegen, ob wir den Prozess stärker bewerten."
Der Bild sagte Fleischmann hierzu: "Die Note sollte nicht nur fürs Auswendiglernen gegeben werden, sondern den Lernprozess beurteilen. Egal, ob das Kind den Stoff allein erarbeitet oder Hilfe von einer Künstlichen Intelligenz gehabt hat." Für die BLLV-Chefin ist der Umgang mit der Infoquelle entscheidend. Das Bildungssystem müsse sich deutlich schneller ändern, um der rasanten technischen Entwicklung zu entsprechen.
Fleischmann warnt: "Die KI wartet nicht, bis wir krisenfest und innovationsbereit sind und der Lehrermangel in Deutschland beseitigt ist." Ein Verdachtsfall aus Hamburg könnte hier ein Alarmsignal sein: In der Hansestadt stehen Schüler unter Verdacht, in Abiturprüfungen verbotenerweise auf ChatGPT zurückgegriffen zu haben.
KI: Ende der Schulnoten? Was sagen Politik und andere Lehrer?
Schulnoten gehören für Bayerns Kulturminister Michael Piazolo (Freie Wähler) auch künftig dazu. Er stellt im dpa-Gespräch klar: "Ich bin der Auffassung, dass wir Noten brauchen und viele Schülerinnen und Schüler Noten auch wollen. Man braucht Leistungsnachweise, um selbst zu wissen, wie man in den einzelnen Fächern steht."
Zugleich warnt der Politiker davor, den Fall aus Hamburg als Anlass zu nehmen, "das jahrzehntelang bewährte System der Noten infrage" zu stellen: "Schummeleien bei Prüfungen hat es immer gegeben, nicht erst seit Einführung der KI."
Der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR) sieht ebenfalls keinen Grund für einen Abschied von den liebgewonnenen Noten. "Nur, weil bei Prüfungen in Hamburg digitale Endgeräte nicht überprüft wurden, sollen Noten abgeschafft werden? Spätestens seit dem grafikfähigen Taschenrechner liegt es in der Verantwortung der Ministerien und letztlich Lehrkräfte, bei Prüfungen besondere Vorkehrungen zu treffen", verweist der VDR-Bundesvorsitzende Jürgen Böhm auch direkt auf die Verantwortlichkeiten.
Er betont, dass Sprachverständnis, Sprachbeherrschung, mathematische Kompetenzen und logisches Denken nicht abhängig von KI oder digitalen Medien seien. Für ihn gilt: "Differenzierung und klare Leistungsanforderungen sind der Schlüssel des Bildungserfolgs – dann ist es egal, ob dieser Bildungserfolg analog, digital oder mit KI erreicht wurde."