
"Natürlich" beschäftige sich der Unternehmensberater Norbert Hoffmann im Dienste der Stadt auch mit einem Ulmer Horrorszenario: wenn mit Galeria Kaufhof der größte Einzelhändler der Stadt schließen muss. Die Zukunft des insolventen Warenhauskonzerns ist offener denn je, das Haus in Ulm werde "kaputt gespart" hieß es jüngst. Egal, wie das erneute Insolvenzverfahren ausgehe: Hoffmann ist überzeugt, dass dieser Handelsplatz nur eine Zukunft nach einer Generalsanierung hat – unter welchem Eigentümer auch immer.
Denn das Umfeld gebe den Standard vor. Und der ist in Kürze hier an der Bahnhofstraße nagelneu. Die schicken Sedelhöfe stehen längst, auch direkt gegenüber wird kräftig saniert: Shoetown Werdich vergrößert sich unter Einbeziehung des ehemaligen H&M. Und auch Peek & Cloppenburg (P&C) erfindet sich neu. Hinzu kommt noch die städtische Neugestaltung der Fußgängerzone. "Kaufhof kann so nicht bleiben", sagt Hoffmannüber das Gebäude, an dem immer noch die alten Horten-Kacheln prangen.
Peek & Cloppenburg in Ulm als Vorbild
Während Kaufhof auf der Stelle tritt, lässt sich bei P&C bald bestaunen, wie sich ein Unternehmen durch Aufstockung neu erfindet: Die obersten drei Etagen werden zu „Urban Eight“. Es entstehen 3200 Quadratmeter Büroflächen, die laut Werbung per "außergewöhnlicher Arbeitsatmosphäre" samt einer "intensiv begrünten Dachterrasse" zu einer "Wohlfühloase mitten in der City" werden sollen. Ganz im Sinne der Philosophie von Hoffmann, neue Wege zu wagen.
Wenn Norbert Hoffmann sein neues Tun in Ulm beschreibt, kommen ihm viele Vergleiche. Vom Centermanager der Innenstadt bis zum Leerstandsbeauftragten. Doch am liebsten mag der Hesse den Vergleich mit einem Theater-Intendanten: Der müsse dafür sorgen, dass das Orchester jene Stücke spielt, die das Publikum gerne sieht und hört. Und das Ganze müsse in einem Rahmen stattfinden, der für alle Menschen ein Anziehungspunkt ist.
Ein Anziehungspunkt, wie es in Siedlungen seit Jahrhunderten der Marktplatz oder die Dorflinde war. Synonyme für die Qualitäten einer Stadt, was daran zu erkennen ist, dass sich Einkaufszentren Bäume an zentralen Stellen aufstellen, um die gute, alte Dorflinde als Treffpunkt zu kopieren. Ulm, so Hoffmann, habe mit dem Ulmer Münster eine ganz eigene Art Dorflinde, die gute Stube und Bühne der Stadt. Hier versammelt sich das Publikum, das letztlich unterhalten werden wolle – wie in einem Theater.
Der "Laden-Aktiv-Manager" ist eine Art Intendant in Ulm
Im Auftrag der Stadt Ulm ist Hoffmann jetzt also der neue Intendant eines "Theaters", das sich Ulmer Innenstadt nennt. Mit dem sperrigen Wort "Laden-Aktiv-Manager" beschreibt die Stadt den Job, der nur möglich wurde, weil Ulm Geld aus dem Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ bekam, das der Bund auflegte, um den Städten Hilfen wegen der durch die Corona-Pandemie beschleunigten Veränderungen im Einzelhandel an die Hand zu geben.
Bis Ende 2025 hat Hoffmann jetzt Zeit, in Zusammenarbeit mit der durch den Handel finanzierten Citymanagerin Sandra Walter Ulm für die Zukunft aufzustellen. Wenngleich Hoffmann seine hessische Herkunft anzuhören ist, kennt er sich aus in Ulm: In Biberach machte er sein Abitur und kam in den 1970ern bereits nach Ulm, um hier Schallplatten zu kaufen. Auch später führte ihn der berufliche Weg immer wieder nach Ulm, wenngleich seine Unternehmensberatung in Frankfurt am Main sitzt.
Auf den ersten Blick gibt es für Hoffmann in Ulm nicht allzu viel zu tun: Die Ulmer Innenstadt verfüge trotz der enormen Marktanteilsgewinne des Online-Shoppings und trotz Pandemie im Vergleich zu anderen Städten nach wie vor über einen attraktiven Mix von großen und kleinen Läden und Dienstleistern in der Innenstadt. Auch die Passantenzahlen befinden sich nach dem pandemiebedingten Einbruch weitgehend wieder auf dem alten Niveau. Hoffmann geht es darum, auch in Zukunft die Attraktivität der "Räume" in der Ulmer Innenstadt zu erhalten. Und damit meint er auch den öffentlichen Raum, der über die Geschäfte hinausgeht.
Es könne in Ulm nicht weitergehen wie bisher, sagt Norbert Hoffmann
In Sachen Leerstände will Hoffmann das Gespräch mit Vermietern suchen. Die Zeiten stetig wachsender Mieteinnahmen sind aus seiner Sicht durch die Online-Konkurrenz mehr oder weniger vorbei. Das sei für viele Vermieter nur schwer zu verdauen. Darin liege aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger hingegen die Möglichkeit, wieder Vielfalt in dieInnenstadt zu bekommen – wenn die Vermieter mitspielen. Die Innenstadt sei mehr als ein Einkaufsplatz: Durch Ansiedlung von Handwerk, Bildung oder auch Pflege-Angeboten könne soziales Leben zurückkommen.
Auf den zweiten Blick habe Hoffmann viel Arbeit vor sich. "Der Handel kann nicht weitermachen wie vor 20 oder 30 Jahren." Auch wenn das "Weiter so" in einigen Bereichen vielleicht hier und da noch ein paar Jahre gut gehe. Die Händler seien gezwungen, sich zu entwickeln. Dazu gehöre auch die Anpassung der einst autogerechten Stadt an eine eher autoarme Stadt. Hier gibt es noch viel Redebedarf, wie die Reaktion der Industrie- und Handelskammer auf die Ausweitung der Fußgängerzonen in Ulm gezeigt hatte.