Wer im "Select Hotel" an der Stadtgrenze von Augsburg einchecken will, hat dazu noch bis zum 24. September Zeit, glaubt man den Angaben der Online-Plattform Booking.com. Danach sei die Unterkunft, die von den Gästen sehr gute Bewertungen bekommt, nicht mehr "auf unserer Seite verfügbar", wie es heißt. Dabei ist das Hotel noch ziemlich neu, es ist erst seit knapp einem Jahr in Betrieb. Nun wird schon wieder umgebaut, vieles vom gehobenen Interieur der Zimmer soll ausquartiert und durch eine einfachere Einrichtung ersetzt werden. Der Grund: Das große Hotelgebäude im Güterverkehrszentrum Augsburg – es steht auf Gersthofer Flur – soll künftig als Flüchtlingsheim genutzt werden, wie das Landratsamt Augsburg am Dienstag mitteilte, bis zu 440 Männer sollen dort unterkommen. Landrat Martin Sailer (CSU) äußert gleichzeitig scharfe Kritik an der aktuellen Flüchtlingspolitik von Bund und EU. Er sagt: "Der Zustrom muss nachlassen, wir platzen aus allen Nähten, das sprichwörtliche Boot ist voll."
Der Landrat erklärt, er sei selbst nicht glücklich darüber, das Hotel in eine Asylunterkunft umzuwandeln. "Mir ist bewusst, dass diese Entscheidung bei vielen Bürgerinnen und Bürgern für Unverständnis und Kopfschütteln sorgen wird, aber wir haben inzwischen einfach keine besseren Alternativen", so Sailer. Die bis zu 440 Männer sollen voraussichtlich aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote kommen, Ende September werden die ersten 66 Personen erwartet. Vermutlich Mitte Dezember werde das Hotel voll belegt sein, heißt es vom Landratsamt. Es ist eine Entscheidung, die auch auf die umliegenden Kommunen Auswirkungen haben wird. Das Güterverkehrszentrum nahe der A8 und der B17 wird von den Städten Augsburg, Neusäß und Gersthofen betrieben. Es befindet sich auf Gersthofer Gebiet, der Augsburger Stadtteil Bärenkeller ist nicht weit entfernt. Das Hotel galt als ein Baustein für das große Gewerbe-Areal, es gehört zu den großen Häusern im Raum Augsburg.
Laut Landrat Sailer ist die Unterbringung eine Belastungsprobe: für die Kommune, für die Mitarbeiter, die die Betreuung übernehmen, sowie für die künftigen Bewohner. Diese müssten, unabhängig davon, ob sie sich kennen oder nicht, auf engstem Raum in Zweibettzimmern zusammenleben, "deren Ausstattung an die allgemeinen Standards der Flüchtlingsunterbringungen im Landkreis angepasst" werde, heißt es vom Landratsamt weiter. Für die Reinigung ihrer Zimmer seien die Männer selbst verantwortlich, sie hätten keine Möglichkeit, selbst zu kochen, sondern erhielten zu vorgegebenen Essenszeiten nicht wählbare, einfache Verpflegung, die nur an ihre religiösen Bedürfnisse angepasst werde.
Asylunterkunft für 440 Männer in Gersthofen: Es soll vorab Gespräche mit der Polizei geben
Vor der Belegung soll es Gespräche mit der Polizei geben, um ein Sicherheitskonzept zu erarbeiten. "Leider geht es bei uns schon längst nicht mehr um adäquate Unterbringung und Integration", sagt Landrat Sailer. Wenn man ehrlich sei, "sorgen wir doch nur noch für das Nötigste: ein Dach über dem Kopf, damit die Geflüchteten nicht auf der Straße leben müssen". Deutschland sei von gesteuerter, gezielter Einwanderung und Integration weiter entfernt denn je. Trotz allem werde man versuchen, vor Ort bestmöglich zu unterstützen und parallel alternative Unterbringungsmöglichkeiten suchen. Allerdings müsse man dabei auch realistisch bleiben – der Wohnungsmarkt sei leer gefegt und mit jeder Woche steige die Zahl derer, die im Landkreis aufgenommen werden müssten.
Dass die neue Großunterkunft allen Beteiligten viel abverlangen wird, sei klar, so das Landratsamt. Doch hätte man die Beherbergung in dem Hotel nicht organisiert, wäre es umgehend zur Schließung des Schullandheims in Dinkelscherben und in einigen Wochen zur längerfristigen Belegung von Schulturnhallen gekommen. Sailer bittet um Verständnis: "Uns stehen einfach keine Plätze mehr zur Verfügung, weshalb wir zu dieser Entscheidung – die sich nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger in Gersthofen richtet, sondern für unsere Kinder, Schulfamilien und Vereine getroffen wurde – gezwungen waren."
Landrat Sailer zur Flüchtlingspolitik: Bundesregierung ignoriert Alarmsignale aus ganz Deutschland
Die Bundesregierung ignoriere die Alarmsignale aus ganz Deutschland scheinbar "konsequent", kritisiert Sailer; für die Frustration vieler Bürger habe er inzwischen viel Verständnis. Aktuell sind im Kreis Augsburg 2600 Flüchtlinge in 72 Unterkünften untergebracht, hauptsächlich aus Afghanistan, dem Irak, der Türkei und Syrien. Hinzu kommen rund 2000 Flüchtlinge aus der Ukraine, die eine private Wohnmöglichkeit gefunden haben. Sailer sagt, man müsse jede Woche aufs Neue "mit der Ankunft von 20 bis 30 weiteren Geflüchteten rechnen". Zugleich fänden Menschen, die die Unterkünfte eigentlich verlassen dürften, keinen Wohnraum und blieben deshalb. Es fehle auch an Betreuungsplätzen, ehrenamtlichen Helfern, Sprachkursen und vielem mehr. Der Bund müsse endlich handeln "und die Not der Kommunen ernst nehmen".
In der Stadt Augsburg lebten zuletzt 1542 Flüchtlinge in städtischen Unterkünften. Insgesamt - also auch mit jenen in staatlichen Unterkünften und Privatwohnungen - sind es in der Stadt aktuell rund 8200 Flüchtlinge, rund die Hälfte davon kommt aus der Ukraine. Augsburgs Sozialreferent Martin Schenkelberg (CSU) sagte erst kürzlich, man brauche wegen der weiter steigenden Flüchtlingszahlen dringend zusätzliche Objekte. Gersthofens Bürgermeister Michael Wörle betont, dass seine Stadt von allen Gemeinden im Kreis Augsburg ohnehin mit die meisten Flüchtlinge habe. "Wenn dann auch das Hotel besetzt ist, werden es rund 1000 Geflüchtete sein, inklusive derjenigen aus der Ukraine, welche in Privatwohnungen untergekommen sind." Wörle fordert, es müsse dringend Ausgleich geschaffen werden und appelliert an andere Landkreiskommunen, mehr zu tun – etwa Container aufzustellen wie 2015.