Als Herbert M. (Name geändert) den Gerichtssaal betritt, klicken die Kameras. Der 54-Jährige wirkt angespannt, versucht aber nicht, sein Gesicht mit einem Ordner zu verdecken. Er hat bislang ein unauffälliges Leben geführt, es gibt nicht einmal ein Foto von ihm im Internet, wer ihn googelt, findet nichts. Auch mit der Justiz hatte Herbert M., ein Mann mit dunklen Augenringen, einer untersetzten Figur und grauen Haaren, bislang nichts zu tun. Der Augsburger ist nicht vorbestraft, hat auch keinen Punkt in Flensburg. Und nun ist er hier im Landgericht Augsburg angeklagt, weil er einen tödlichen Raserunfall verursacht hat. Es ist ein Fall, der für Entsetzen sorgte; das Medieninteresse ist an diesem Mittwoch gewaltig.
Es geht um einen Unfall, der sich im August 2022 in Oberhausen ereignete. Die Fahrt, die höchstens 20 Sekunden gedauert haben kann, startete an der Total-Tankstelle im Gablinger Weg, führte nach Norden, die Stuttgarter Straße entlang Richtung Gersthofen – und endete auf dem Parkplatz des Möbelhauses Ikea mit dem Tod einer 21-jährigen Frau, die auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Hinter dem Lenkrad saß der jetzige Angeklagte, ein gelernter Kfz-Mechaniker, ein Autonarr mit eigener Werkstatt. In der Anklage der Staatsanwalt geht es unter anderem um den Vorwurf eines illegalen Rennens mit Todesfolge.
Anklage nach Ikea-Unfall: Jetzt entscheidet das Landgericht Augsburg
Wie berichtet, geht die Anklagebehörde davon aus, dass Herbert M. bei der Fahrt im August vergangenen Jahres so stark beschleunigte, dass er die Kontrolle über den fast 600 PS starken Mercedes GL63 AMG verlor. Der Angeklagte soll bereits im Oktober 2021 mit demselben Auto eine ähnliche Spritztour unternommen haben, damals mit annähernd Tempo 200. Das Auto, heißt es, habe damals zwar geschwankt und gewippt, sei aber auf der Straße geblieben. Anders, als es bei der Fahrt der Fall war, die zum Tod der 21-jährigen Frau führte: Das Opfer und zwei junge Männer waren an dem Abend den Ermittlungen zufolge an der bei Auto-Fans beliebten Total-Tankstelle auf Herbert M. getroffen, man kam ins Gespräch. Laut Anklage, die Staatsanwalt Johannes Zehendner vorträgt, wollte der 54-Jährige den späteren Beifahrern zeigen, was der SUV in sich hatte, das Trio willigte ein.
Herbert M. fuhr mit dem Geschoss nicht erst auf die nahe Bundesstraße oder die Autobahn, um massiv zu beschleunigen, sondern drückte das Gaspedal durch, kaum dass er die Ausfahrt der Tankstelle hinter sich gelassen hatte. Hier gilt in der Stuttgarter Straße Tempo 50, den Ermittlungen zufolge aber muss der 54-Jährige eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 145 km/h erreicht haben. Der Mercedes kam von der Fahrbahn ab, durchbrach einen Holzzaun, krachte über eine Böschung auf den hinteren Teil des Parkplatzes.
Prozess um Unfall bei Ikea: 21-Jährige starb an schweren Kopfverletzungen
Hier endete die Fahrt an einem Einkaufswagenständer, die 21-jährige Augsburgerin starb an schweren Kopfverletzungen. Auch die anderen beiden Beifahrer, die auf der Rückbank saßen, erlitten Verletzungen. Dass nicht noch mehr Menschen starben oder zumindest schwer verletzt wurden, war wohl pures Glück. Zu der Zeit, gegen 19.30 Uhr, hatte das Möbelhaus noch geöffnet, laut Staatsanwaltschaft konnten sich zwei in der Nähe stehende Kundinnen nur durch eine schnelle Reaktion in Sicherheit bringen. Im Prozess spricht ein Polizist, der mit als erster am Tatort war, von einem "Trümmerfeld", das sich den Beamten geboten habe.
Seit der Anklageerhebung im Mai sitzt Herbert M. in Untersuchungshaft. Zum Prozessstart verliest sein Anwalt Florian Engert eine Erklärung. Darin räumt der Angeklagte, zumindest was den tödlichen Unfall angeht, über seinen Verteidiger die Vorwürfe aus der Anklageschrift im Kern ein, wenngleich er in Details widerspricht. So sei die Spritztour nicht seine Idee gewesen, sondern jene der drei jungen Menschen. Er selbst sei eigentlich auf dem Weg nach Blaustein gewesen und habe nur kurz Halt an der Tankstelle machen wollen, um etwas zu essen kaufen. An der bei Autofans in der Region beliebten Tankstelle sei er seit 15 Jahren immer mal wieder, auch das junge Trio, das zu ihm ins Auto stieg, habe er dort zuvor bereits kennengelernt. Dass die Opfer des Unfalls, wie die Staatsanwaltschaft annimmt, davon ausgegangen seien, es gehe auf die B17 oder die A8, sei falsch – er habe zuvor klargemacht, dass es nur um eine kurze Runde im Gewerbegebiet gehe, schließlich habe an der Tankstelle seine Lebensgefährtin gewartet, und man habe noch weiter gewollt.
Sollte die 1. Strafkammer unter Vorsitz des Richters Michael Schneider den 54-Jährigen wegen des Vorfwurfs eines illegalen Rennens mit Todesfolge verurteilen, droht Herbert M. bis zu zehn Jahre Haft. Zwei Angehörige der getöteten 21-Jährigen nehmen als Nebenkläger am Prozess teil. Sie werden von den Anwälten Michael Menzel und Dominik Hofmeister vertreten. Beide Anwälte äußerten am Rande der Verhandlung, ihre Mandanten erhofften sich vom Angeklagten eine Entschuldigung. Das Landgericht hat acht Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil könnte am 16. November gefällt werden.