Der grausame Vorfall der trächtigen Geiß, die vor Kurzem in Anhausen von einem frei laufenden Hund gerissen wurde, hat vor allem die Hundehalter im Augsburger Land stark bewegt. Nun hat unsere Redaktion erfahren, dass es in dem Diedorfer Ortsteil einen weiteren tödlichen Vorfall mit einem Reh gegeben hat. Und auch in Horgau ist in dieser Woche Wild durch einen nicht angeleinten Vierbeiner zu Tode gebissen worden. Kritisch gesehen wird bei den beiden jüngsten Vorfällen die Tatsache, dass es sich nach Informationen unserer Redaktion um die Jagdhunde zwei Försterinnen handeln soll. Schließlich hatten Jäger und Revierpächter zuvor eindringlich appelliert, dass Hundehalter ihre Tiere gerade jetzt zur Brut- und Setzzeit nicht frei herumlaufen lassen sollten. Hundeprofi Martin Rütter hat dazu eine klare Meinung.
"Ich sehe zuerst immer die Menschen in der Verpflichtung und Verantwortung", sagt Rütter. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass ihre Hunde gut erzogen und für das Leben in der Gesellschaft gewappnet sind – was letztlich in der Konsequenz automatisch zu einem entspannten Miteinander führen würde. "Das würde auch die immerwährenden Diskussionen über generelle Leinenpflicht ad absurdum führen". Denn eines sei auch klar: Ein Spaziergang ausschließlich an der kurzen Leine sei für einen Hund keine ausreichende Auslastung. Grundsätzlich sollte man einen Hund aber erst dann frei, also ohne Leine oder Schleppleine, laufen lassen, wenn ein Rückrufsignal zuverlässig aufgebaut wurde. "Außerdem muss man wissen, dass Hunde immer ein mehr oder weniger vorhandenes Jagdbedürfnis haben", betont Rütter.
Hundeprofi Martin Rütter: Jagdtrieb bei Hunden lässt sich niemals komplett löschen
Eine konkrete Einschätzung der Geschehnisse im Augsburger Land aus der Ferne sei natürlich nicht seriös. Ganz allgemein aber könne man sagen, dass wenn das Jagdbedürfnis vom Halter nicht befriedigt werde, dies beim Hund oft zu Frustrationen führen könne. "Die lenkt er dann auf Ersatzobjekte, wie etwa Jogger oder Radfahrer, um." Eine gute Lösung sei daher unter anderem eine ausreichende Beschäftigung, beispielsweise mit Jagdspielen. Dabei dürfe es sich aber nicht um lebende Beute wie Hasen oder Rehe handeln. "Andere Gegenstände wie Bälle oder Dummys, die der Hund aufstöbern, suchen und apportieren kann, reichen völlig aus." Rütter betont jedoch, dass sich der Jagdtrieb niemals komplett löschen werde. "Ich kann aber dafür sorgen, dass der Hund diesen Trieb unter meiner Kontrolle auslebt".
Geeignet seien zum Beispiel Reizangeln, also Stöcke mit einer Schnur, an deren Ende die „Beute“ hängt. Das heiße natürlich nicht, dass der danach nie mehr jagen geht. "Aber wenn ich zusätzlich noch auf Vorboten des Jagdverhaltens achte, kann ich ihn stoppen, bevor er im Gebüsch verschwindet", erklärt Rütter. Meist verhalte es sich ja so: Der Hund beschnuppert den Wegesrand, während sich Herrchen und Frauchen unterhalten. Dann ist der Hund plötzlich weg. "Würden die beiden den Hund beobachten, hätten sie rechtzeitig bemerkt, dass sich das Jagdverhalten anbahnt und könnten den Hund noch gut zurückrufen." Voraussetzung dafür sei natürlich eine gute Ausbildung. Rütter plädiert daher bereits seit Jahren für den Hundeführerschein als generelle Verpflichtung – und zwar bereits vor der Anschaffung eines Hundes. Ähnlich sieht das auch der Jäger Felix Kuwert aus Diedorf.
Hund ohne Leine in Brutzeit: Je nach Rasse ist der Hetztrieb unterschiedlich ausgeprägt
Jäger würden bei einem menschlichen Fehlverhalten gerne sagen "der Schuft sitzt hinter dem Schaft", so Kuwert. Dies sei ohne Weiteres auch auf die Hundehaltung übertragbar - das Problem befinde sich in der Regel am anderen Ende der Leine. Doch auch Jäger seien Teil des Querschnitts der menschlichen Gesellschaft und sollten stets bedenken, dass trotz bester Ausbildung des Vierbeiners ein Restrisiko bestehe. Er selbst würde vor allem in der aktuellen Setzzeit der Rehe seine Hunde bei den täglichen Reviergängen stets im Auto belassen.
Gerhard Wurm von der Jagd- und Naturschule Wertachtal stimmt dem zu. Bis zu drei Monate dauert die Ausbildung seiner Jagdhunde, dennoch räumt er ein: "Es braucht schon sehr viel Kontrolle, um einen Hund abzupfeifen, wenn er im Wald oder auf einer Wiese ein Reh stehen sieht." Je nach Rasse sei der Hetztrieb zwar unterschiedlich stark ausgeprägt, aber ein Jagdhund sei eben nun einmal so gezüchtet worden, dass er auch jagt. Daher unterliegen gerade Jagdhunde strengen Auflagen. Noch strenger und vor allem aufwändiger ist die Ausbildung bei Polizeihunden.
Auch die Polizei nutzt den Jagdtrieb der Hunde
"Die Ausbildung nimmt etwa zwei Jahre in Anspruch", teilt die Pressestelle des Präsidiums mit. In diesem Zeitraum werde der Hund sowohl zum Schutz- oder Spezialhund unter anderem für die Rauschgift- oder Sprengstoffsuche sowie als Datenträgerspürhund ausgebildet. Hundeführer und ihr Tier würden auf höchstem Stand so trainiert werden, dass hier sehr hohe Kompetenz besteht. Der Hund lerne während seiner gesamten Dienstzeit dazu. Dabei nutzt auch die Polizei den Jagdtrieb. "Für die Arbeit wird oft die jagdliche Motivation verwendet und als Beutemotivation Spielzeug oder Futter eingesetzt, sodass die Diensthunde derartig auf ihre Aufgabe fokussiert sind, dass Wild zumeist ausgeblendet wird und keine Beachtung findet", erklärt eine Sprecherin des Präsidiums. Doch auch hier könne trotz aller Ausbildung eines abschließend nicht verhindert werden: "Dass der Diensthund auf die Jagd nach Wild wechselt".