Es sind Zahlen, die alle Vorstellungskraft sprengen. Derzeit werden die Gesamtkosten des wohl noch vor seiner Inbetriebnahme bekanntesten TiefbahnhofsDeutschlands, Stuttgart 21, mit 9,15 Milliarden Euro beziffert. Obendrauf kommt noch ein Risikopuffer von 640 Millionen Euro. Insgesamt mehr als doppelt so viel wie ursprünglich geplant. Doch wer kommt für die Mehrkosten auf? Diese Frage beschäftigt nun erstmals das Stuttgarter Verwaltungsgericht.
Alle Fragen zum Gerichtsverfahren, wer gegen wen klagt, woran sich der Streit entzündet, wie lange das Verfahren anberaumt worden ist und wie die Aussichten vor Gericht sind, lesen Sie hier.
Stuttgart 21: Ein Jahrhundertprojekt mit Sprengkraft
Als 1995 erstmals eine Rahmenvereinbarung über das Projekt Stuttgart 21 geschlossen wurde, sprachen die Projektbeteiligten von 2,5 Milliarden Euro Kosten. Als der offizielle Finanzierungsvertrag im Jahr 2009 unterzeichnet wurde, gingen die Verantwortlichen bereits von 4,53 Milliarden Euro aus, zu einer Inbetriebnahme sollte es 2019 kommen.
Fast fünfzehn Jahre später ist das einstige Prestigeprojekt der Deutschen Bahn endgültig zu einem Bau- und PR-Desaster geworden. Das Problem: Ständig führen neue Behinderungen am Bau zu weiter ansteigenden Kosten und verzögerten Eröffnungsterminen. Zuletzt laut tageschau.de wegen der Digitalisierung der Signalsteuerung (ETCS) für den Bahnknoten rund um die Landeshauptstadt mit "unvorhergesehenen weiteren Baumaßnahmen". Derzeit heißt es offiziell von der Bahn, 2025 soll der Tiefbahnhof zumindest teilweise in Betrieb gehen.
Stuttgart 21: Wer klagt gegen wen?
Kläger des Verfahrens ist der Hauptprojektbeteiligte, die Deutsche Bahn, der schon im Dezember 2016 gegen seine Projekt-Partner geklagt hatte. Die Forderung des Konzerns? Er will, dass sich diese an den Mehrkosten in Milliardenhöhe beteiligen. Projektpartner sind das Land, die Stadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und der Stuttgarter Flughafen. Die Partner, allen voran das Land Baden-Württemberg, verweigern jedoch eine weitere finanzielle Beteiligung an dem Giga-Projekt.
Weil die Bahn dies nicht hinnehmen will, klagt sie nun, zunächst vor dem VerwaltungsgerichtStuttgart. Gegenüber dem SWRteilte der Konzern mit: "Die DB geht aufgrund der Entstehungsgeschichte des Projektes, den Finanzierungsverhandlungen sowie den vertraglichen Regelungen zu einer gemeinsamen Projektverantwortung davon aus, dass auch eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung besteht und insoweit die Sprechklausel einen Anspruch auf weitere Finanzierungsbeteiligung begründet." Doch genau an der besagten Sprechklausel entzündet sich der Streit.
Finanzierungsvertrag: An einem Passus entzündet sich der Streit
Die Auseinandersetzung nämlich hat ihre Ursache in einem einzigen Passus im Finanzierungsvertrag von 2009. Damals wurde die Kostenverteilung für das BahnprojektStuttgart 21 zwischen den Projektpartnern für die Kosten von 4,5 Milliarden Euro geregelt. Da die Kosten nun aber eben inklusive Risikorücklagen auf 9,7 Milliarden Euro geschätzt werden, steht erneut die Frage im Raum, wer und in welchem Umfang sich an den zusätzlichen Mehrkosten beteiligt. Gestritten wird um die Auslegung der besagten Stelle, in der es heißt: "Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen und das Land Gespräche auf." Die Bedeutung dieser "Sprechklausel" ist allerdings umstritten.
Land Baden-Württemberg: "Bahn alleinige Projektträgerin und Bauherrin"
Die Bahn jedenfalls legt sie als Bekenntnis zu einer "gemeinsamen Finanzierungsverantwortung" aus. Die Projektpartner sehen dies allerdings anders. So erklärte Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen jüngst dem SWR: "Aus Sicht des Landes ist klar: Es ist ein Festvertrag vereinbart worden." In seinem Ministerium ist man daher der Ansicht: "Die Bahn ist alleinige Projektträgerin und Bauherrin und hat die hiermit verbundenen Risiken beziehungsweise unvorhergesehene Mehrkosten zu tragen." Auch die Stadt Stuttgart soll nach Angaben von tagesschau.de die Forderungen der Bahn für unbegründet halten.
Wie lange soll das Verfahren dauern und wann wird der Prozess fortgeführt?
Wie viele Sitzungstage das Stuttgarter Verwaltungsgericht bis zum Urteilsspruch anberaumen muss, ist noch unklar. "Die Verfahrensdauer und die Zahl der Termine sind noch nicht abschätzbar", so ein Gerichtssprecher. Auch der Umfang des Verfahrens wird Gegenstand des ersten Verhandlungstags an diesem Montag, 8. Mai 2023, sein.
Auch wann das Verwaltungsgericht ein Urteil spricht und damit Rechtssicherheit über die Kostenübernahme schafft, ist aktuell noch nicht abzusehen. Fest steht: Der Rechtsstreit zwischen der Bahn und ihren Vertragspartnern könnte sich Jahre hinziehen, letztlich sogar über den Tag der Inbetriebnahme hinaus.
Die Bahn hat laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) nun zwei Wochen Zeit, um ihre Klageanträge zu präzisieren und einzureichen. Der nächste Verhandlungstermin soll voraussichtlich am 1. August 2023 stattfinden. Bei diesem Termin soll es dann um die Frage gehen, ob die Deutsche Bahn tatsächlich einen Anspruch auf eine weitere finanzielle Beteiligung der Projektpartner hat - und wenn ja, in welcher Höhe.