Unwetter bekämpfen Menschen seit vielen Jahrhunderten, weil sie enormen Schaden anrichten können: Wurden früher Gebete zum Himmel gerichtet, um Gewitter, Hagel und andere Niederschläge hinwegzutreiben, haben sich die Methoden in der Moderne gewandelt. Technologien halten neue Möglichkeiten bereit: Im vergangenen Jahrhundert wurde mit Raketen versucht, Hagelabwehr zu betreiben, mittlerweile kommen mancherorts Flugzeuge zum Einsatz. Doch sind Hagelflieger nicht unumstritten. Wir erklären, wie sie funktionieren und wie es mit der Effektivität aussieht.
Wie funktionieren Hagelflugzeuge?
Sogenannte "Hagelflieger" steigen in die Luft, um Wolken zu "impfen": Die Fluggeräte sollen die Bildung von Eiskörnern in den Wolken unterbinden. Das Mittel für diesen Zweck sind feine Silberiodid-Partikel, die gezielt unter der Wolkenbasis verabreicht werden. Laut dem Wissenschaftsportal Spektrum setzen sich die Partikel an feine Wassertröpfchen einer Wolke und binden so Feuchtigkeit. Zunächst entstehen mehr Hagelkörner, jedoch kleinere. Weil diese dann im Herabfallen schnell tauen, sollen bedrohliche Eisklumpen verhindert werden können.
Ein Einsatzleiter in Diensten der österreichischen Stadt Krems erklärte gegenüber dem Standard, dass per Flugzeug ein Gemisch aus Silberjodid und Azeton in die Gewitterwolken gejagt werde. Dies soll mitunter umliegende Weinbaugebiete vor Unwetterschäden schützen, so Pilot Thomas Stoifl.
Dem Experten zufolge wird mit den Fliegern in die Wolken "nicht direkt hinein, jedoch knapp darunter und seitlich vorbei" gesteuert. Aufgrund der Thermik könne es passieren, dass das Fluggerät abrupt nach oben gerissen wird oder Hagel die Tragflächen trifft. Crisis-prevention.de, ein Fachportal für Gefahrenabwehr, konkretisiert: An den Tragflächenspitzen sind Behälter mit Generatoren montiert. Wenn es soweit ist, wird das beinhaltete Gemisch in eine Brennkammer gespritzt und gezündet.
Hagelflieger: Silberjodid hat Tradition - Wirksamkeit umstritten
Die Hagelabwehr-Maßnahme der "Wolkenimpfung" gibt es bereits seit Jahrzehnten: Früher schossen Bauern sogar Raketen in den Himmel, seit den 1970er-Jahren sind auch Flugzeuge im Einsatz, erläutern die Hagelabwehr-Vereinigungen auf ihren Websites.
Es gibt einige Regionen, in denen auf die Hagelbekämpfung aus der Luft gesetzt wird. Jedoch sind Hagelflugzeuge umstritten. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärte jüngst der Landkreis Bad-Tölz Wolfratshausen: Die Region war im August 2023 von Hagelschäden stark betroffen, hat sich schon weit zuvor gegen den Einsatz von Hagelflugzeugen entschieden. Nach Angaben des Landratsamtes habe sich der zuständige Ausschuss zwei Jahre zuvor damit befasst, jedoch gebe es keinen "verlässlichen wissenschaftlichen Nachweis zur Wirksamkeit".
Kritisch steht der Verwendung von Hagelfliegern auch Michael Kunz vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gegenüber. Als Meteorologe kennt er sich gut mit Gewitterwolken und deren Beschaffenheit aus. Wie er auf Anfrage schildert, fehle schlicht ein "wissenschaftlicher Nachweis": Niemand weiß, wie sich eine Wolke verhalten hätte, wenn sie nicht geimpft worden wäre.
Kunz erläutert, warum das so ist: Nicht mal Meteorologen wissen heute trotz moderner Technik, wo sich genau Gewitter bilden und wie sie verlaufen. Auch warum aus einer Wolke Hagel strömt und aus der anderen nicht, sei unklar. An anderer Stelle spricht der Leiter der Arbeitsgruppe "Atmospheric Risks" von einem "undurchschaubaren Gebräu aus Wasser, Luft und Eis".
Die Experten in Karlsruhe hatten mit Hilfe numerischer Wettervorhersagemodelle derartige Gewitter per Computer nachsimuliert. Dabei wurden die Konzentrationen der Aerosole, die für die Eisbildung benötigt werden, über einen großen Bereich variiert, führt Prof. Dr. Kunz uns gegenüber aus: "Das Ergebnis ist recht ernüchternd; mit steigender Aerosolkonzentration nimmt die Hagelkorngröße mal zu, mal nimmt sie ab."
Einen weiteren Aspekt benennt er mit den Schadendaten einer großen Gebäudeversicherung in Baden-Württemberg: In Gebieten, in denen Wolken geimpft werden, gebe es demnach keinerlei Unterschied zu anderen Gebieten ohne die Hagelbekämpfung per Flugzeug.
Hagelbekämpfung per Flugzeug: Flieger schon lange umstritten
Bereits im Jahr 1993 kam das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zu der Erkenntnis, dass ein Effekt der Hagelflugzeuge in Bayern nicht nachgewiesen werden kann. Die damalige These basierte auf einer sechsjährigen Studie. Und wie steht das DLR heute dazu? Auf Anfrage erklärt das Zentrum, dass seitdem keine weiteren Erkenntnisse gesammelt wurden.
Mittlerweile sind 30 Jahre vergangen, Unwetter fanden jüngst Ende August mitunter im Tegernseer Tal statt - und dort waren auch Hagelflieger Einsatz. Der zuständige Einsatzleiter erklärte gegenüber merkur.de, dass "bei dieser Dimension einfach nichts zu machen war".
Hagelnavigator per App: In Rosenheim ein zentrales Instrument
Im Landkreis Rosenheim (Bayern) ist der Einsatz von Hagelfliegern nach wie vor ein zentrales Instrument der Hagelbekämpfung: Mittlerweile erfolgt eine Zusammenarbeit der FH Rosenheim mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) - und einem Hagelnavigator namens "RO-BERTA". Crisis-prevention.de beschreibt das Prozedere per App: Der DWD tastet per Radar den Himmel ab und erkennt aus der Höhe der Reflexion mögliche Hagelzentren. Die erfassten Daten werden in sogenannten "Echoklassen" erfasst - sie reichen von Stufe 1 bis 6 (je nach Wahrscheinlichkeit, mit der sich in einer Wolke Hagel bildet). Die "RO-BERTA"-App ermöglicht es Nutzern von Computer, Tablet oder Smartphone, als mobile Wetterstation zu fungieren: Die beobachtete Wettersituation kann gemeldet werden, mitsamt Zeit- und Ortsangaben. Über die genaue Funktionsweise gibt die Website Aufschluss.
Welche Nachteile haben Hagelflieger?
Ob Silberjodid über die mutmaßliche Wirkung gegen Hagel hinaus Folgen für Natur und Umwelt hat, kann laut dpa wissenschaftlich bislang nicht festgestellt werden. Wir haben bei Umweltschutzvereinigungen nachgefragt: Der BUND Naturschutz kann diesbezüglich "keine seriöse Aussage" treffen. Auch im Hause des WWF habe man sich mit der Thematik noch nie beschäftigt. Das Umweltbundesamt (UBA) bestätigt auf Nachfrage, dass es bis heute keinen wissenschaftlich erwiesenen Nutzen von Hagelfliegern gibt.
Stattdessen habe eine mit hohem Aufwand durchgeführte Untersuchung israelischer Forscher sogar ergeben, dass eine Wirkung der Hagelflugzeuge nicht realistisch sei, erklärt ein Sprecher des UBA. So würden lediglich die Nachteile übrig bleiben: Silberjodid ist nicht gut für die Umwelt, obgleich der niedrig dosierten Mengen. Denn trotzdessen handele es sich um giftige Substanzen.
Weil bei der "Wolkenimpfung" außerdem Flugzeuge in die Luft steigen, die sonst am Boden bleiben, lässt sich sagen: Aufgrund der zusätzlichen Schadstoffbelastung werden die Treibhausgase marginal erhöht.