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Forschung
Schlager erobert die Wissenschaft: So wird an Universitäten geforscht
Die Wissenschaft öffnet sich dem Schlager. Forscher erkunden, warum Schlager so beliebt ist, was ihn ausmacht - und ob Schlager-Hörer dümmer sind.
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Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild) | In der Schlagerwelt hören und sehen Wissenschaftler immer öfter genauer hin.
Sven Koukal
 |  aktualisiert: 15.05.2024 14:50 Uhr

Das Universum des Schlagers ist wie die Anzahl der Künstler dieses Genres groß. Interpreten wie Giovanni Zarrella, der kürzlich zusammen mit Jan Böhmermann für Aufsehen sorgte, gehören zu den großen Namen der Szene, wie auch Florian Silbereisen, Matthias Reim, Stefan Mross, Jürgen Drews und Peter Maffay. Nicht nur Fans beschäftigen sich mit ihren Liedern, Texten und Geschichten - auch die Wissenschaft interessiert sich zunehmend. Der Schlager erobert die Forschung.

Forscher fragen: Warum ist Schlager so beliebt?

2023 gaben Johannes Müske und Michael Fischer den Sammelband "Schlager erforschen - Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf ein populäres Phänomen" heraus. Schlager finde seit Jahren ein großes Publikum, werde zu unterschiedlichen Anlässen gespielt, sei in "vielen Alltagskontexten" wahrnehmbar, etwa beim Musikhören, im TV oder in den sozialen Medien. 

Die insgesamt 15 kulturwissenschaftlichen Beiträge wollen der Erforschung dieser Musikrichtung mit allem, was dazugehört, mehr Beachtung geben. Dass gerade der breite Erfolg das populäre Genre "für die Kulturkritik weiterhin verdächtig macht, ein kommerzielles und oberflächliches Vergnügen zu sein", sei zu einseitig. Und so wird der Bogen zur DDR geschlagen, die Fans von Andreas Gabalier ethnografisch betrachtet und unter anderem Postfeminismus ist Thema der Artikel.

Musik, Inszenierung, Plattencover - all das und noch vieles mehr wird in die Analysen miteinbezogen. Auch Texte gehören als wichtiger Bestandteil dazu. Dass übrigens selbst eigene Interpreten mit Songtiteln und Texten Schwierigkeiten haben, stellte beispielsweise Ross Anthony beim Schlager des Jahres blamabel, aber charismatisch unter Beweis.

Was weiß man über Schlager?

Weil der Schlager ebenjene gesellschaftliche Rückendeckung hat - Statista-Angaben zufolge hörte allein 2023 fast ein Fünftel der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren diese Musikrichtung -, werden Entwicklungen medial nah verfolgt. Erfolgsgeschichten wie auch Skandale und zeitweise Verbote, etwa von einigen Schlagersongs, gelangen so ans Tageslicht. 

Private Befindlichkeiten werden öffentlich diskutiert, beispielsweise, dass Heino seinen Sohn nicht zum Großerben machen wird. Schlager wird auch kommentiert, beispielsweise vom Urgestein Roland Kaiser, der dem aktuellen Schlager vorwirft, nicht den Zeitgeist widerzuspiegeln.

Die Schlager-Welt hält daneben Überraschungen bereit, etwa dass Beatrice Egli an ihrem Geheim-Projekt Mehrfachauftritt arbeitet. Oder Andy Borg eigentlich ganz anders heißt. Die Grenzen zu anderen popkulturellen Bereichen ist fließend. So enthüllte zum Beispiel Thomas Müller, dass sein Kumpel und Ski-Star Felix Neureuther ein heimlicher Schlagerstar ist.

Wissenschaft: Wer hört Schlager?

Musikwissenschaftler Dr. Felix Christian Thiesen (Hochschule für Musik und Theater in Rostock) forscht zu Schlager. Dem NDR gegenüber erklärt der Experte, dass sich die Forschung dem Schlageruniversum öffne. Schlager gewinne seiner Einschätzung nach in der Wissenschaft an Popularität.

Neben dem Schlager an sich spielen auch die Empfänger, sprich die Hörer eine wichtige Rolle in der Forschung. Wer hört Schlager? Seine Erkenntnis aus einer Studie zusammen mit Kommunikationswissenschaftler Dr. Holger Schramm (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): "Schlagerhörer*innen sind nicht dümmer, sie sind nicht emotionaler, sie neigen nicht dazu, sich stärker in andere Realitäten zu flüchten, als das Hörer*innen anderer Genres sind." Das sei etwas, das man häufig unterstellt habe, was aber "eben nicht der Fall" sei. Auch aufgrund solcher Irrtümer müsse dem Schlager in der Wissenschaft mehr Beachtung geschenkt werden. 

Schlager: Zwei Germanisten hören genau hin

An der Universität Potsdam wiederum gehen die beiden Germanisten Mirco Limpinsel und Vinzenz Hoppe dem Schlager "mit wissenschaftlichem Ohr" nach. Soll heißen: Sie fingen an, ab 2017 das Geheimnis des Schlagers zu suchen. Es sei, so stellten sie fest, mitunter gar nicht so einfach, klar zu definieren, ob ein Lied überhaupt ein Schlager ist. Sie schauen beispielsweise nach wiederkehrenden Themen und gewissen Strukturelementen und nähern sich so dem Thema wissenschaftlich. Gerade aus literaturwissenschaftlicher Sicht aber, so betonten sie, gebe es noch einiges nachzuholen.

Fest stand für sie schon vor wenigen Jahren: Zwar werde auch heute noch teils abfällig auf mediale Inszenierungen der Schlagerinterpreten im Fernsehen geschaut, doch gleichzeitig gebe es mehr und mehr jüngere Schlagerfans. Limpinsel und Hoppe sehen darin einen Generationswechsel: „Während unsere Elterngeneration sich als Ausdruck ihrer Rebellion dem Rock verschrieben hat, schockieren die Jungen heute ihre Eltern mit Helene Fischer.“ 

 
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