Eine Gruppe angemeldeter Interessierter innerhalb einer Absperrung, eine Gruppe ähnlicher Größe außerhalb – und viel Polizei: Die Sicherheitsbehörden hatten vorab Hinweise auf Störer der Veranstaltung aus verschiedenen politischen Richtungen bekommen. Das sollte sich auch bewahrheiten. Während der Wahlkampfveranstaltung der Grünen mit deren Spitzen-Duo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann am Sonntagabend auf dem Petrusplatz in Neu-Ulm kam es zur vorläufigen Festnahme eines Mannes, der einen Stein auf die Bühne warf.
Anfangs – solange Julia Probst, Direktkandidatin für den Landtag, und Leila Bagci, Direktkandidatin für den Bezirkstag – auf der Bühne standen, blieb es relativ ruhig. Hochgehaltene Plakate zeigten, aus welchen politischen Richtungen den Rednern der Wahlkampfveranstaltung Vorwürfe entgegengehalten wurden: „Grüne Waffen töten nachhaltig“, war da unter anderem zu lesen. Wohl aus Richtung der Friedensbewegung. Ein anderer Mann verteilte Flyer der Ulmer Friedenswochen. Andere Plakate wie „Arbeiten, Steuern zahlen, Klappe halten“ wiesen eher in Richtung der „Spaziergänger“-Community. Zwei Frauen, die während der ganzen Veranstaltung stumm blieben, hielten ein Plakat, auf dem „2 Geschlechter“ stand.
Grüne in Neu-Ulm: "Buh"!-Rufe als Kabarettist Christian Springer auf die Bühne tritt
Die Stimmung eskalierte, als der Kabarettist Christian Springer auf die Bühne trat und unter „Buh!“-Rufen und Gelächter über die Plakate der Demonstranten spottete. Springer warf CSU, Freie Wähler und AfD in einen Topf. Dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) war er in der Causa Aiwanger vor, Angst vor Aiwanger „und seiner Gesellschaft“ zu haben - und rief: „Die machen Deutschland kaputt!“
„Erst machen Sie die Ukraine kaputt!“, schallte es ihm aus den Reihen der Friedensbewegten entgegen. Wo die Demonstranten mit ihrem „beschissenen Protest“ gewesen seien, als der "syrische Diktator Putin" Bomben auf sein Volk warf, schreit Springer von der Bühne und fordert die Grünen auf, „Haut´s nei!“, falls sie in Bayern nach der Wahl weiter in der Opposition seien. Springer lässt pauschale Behauptungen los wie jene, dass in den Parlamenten in Deutschland - von der Lokalpolitik bis zur Bundespolitik - zehn bis 20 Prozent Kriminelle säßen, und dass AfD-Politiker „doppelt so kriminell wie alle Flüchtlinge im Land“ seien.
Ordner bitten Demonstrierende die Wahlkampfveranstaltung der Grünen in Neu-Ulm nicht zu stören
Ordner bitten jene Demonstranten, die mit Tröten und Trillerpfeifen die Veranstaltung stören, freundlich, das zu unterlassen. Katharina Schulze, die in Bayern offenbar ein bildungs- und energiepolitisches Entwicklungsland sieht, erklärt, dass es die Söder-Regierung einfach nicht könne und es diese zu beenden gilt. Sie spricht von Chancengleichheit für alle Kinder und billigeren Strom.
Da fliegt ein Stein auf die Bühne. Die Polizisten reagieren besonnen, ringen den Steinewerfer nieder, es kommt zur Festnahme. Menschen, die vor Ort waren, sprechen von einem "Schreckmoment".
Bei der Festnahme habe sich der Mann widersetzt, wie ein Polizeisprecher am Montag mitteilt. Durch den Steinwurf sei niemand verletzt worden. Bis auf diesen Vorfall sei die Veranstaltung ohne Zwischenfälle verlaufen, bei denen die Polizei hätte eingreifen müssen.
Steinwurf-Attacke am Petrusplatz in Neu-Ulm: Das sagt die Polizei
Beim Tatverdächtigen soll es sich um einen 44-Jährigen handeln, der als polizeibekannt gilt. Jedoch sollen die Delikte, die der "allgemeinen Kriminalität" zugeordnet werden, schon Jahrzehnte zurückliegen, so der Polizeisprecher. Der Mann sei mit auf die Dienststelle genommen und nach den polizeilichen Maßnahmen wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Welche Gruppierung der Mann zugeordnet werden kann, sei noch Gegenstand weiterer Ermittlungen. Es hätten sich vor Ort jedoch keine anderen Person ihm gegenüber solidarisiert.
Auf einem Video der Veranstaltung, das bei YouTube zu sehen ist, lässt sich ein Mann mit Vollbart, Brille, weißem T-Shirt, schwarzem Turnbeutel und Pappschildern erkennen. Aus Richtung der Pizzeria am Petrusplatz läuft er auf die Absperrung zu und wirft den Stein. Der Mann soll laut Polizei sichtlich alkoholisiert gewesen sein. Eine Blutentnahme wurde angeordnet. Die Ermittlungen hat inzwischen das zuständige Staatsschutz-Kommissariat der Neu-Ulmer Kriminalpolizei. Dem 44-Jährigen versuchte gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt. Zudem muss er sich wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz verantworten.
Steinwurf bei Grünen-Wahlkampfveranstaltung in Neu-Ulm: So fallen die Reaktionen aus
"Bin immer noch schockiert. Es flog nämlich ein dicker fetter Stein am Kopf meiner Dolmetscherin vorbei auf die Bühne und hätte beinahe @KathaSchulze und @LudwigHartmann getroffen. Gewalt - körperliche/sprachliche ist keine Lösung!", schreibt Julia Probst dazu auf den Kurznachrichtendienst X, der früher Twitter hieß. Gegen den Mann sei Anzeige erstattet worden. "Ich bin sehr froh, dass nichts passiert ist. Der Schreck sitzt aber immer noch tief. Schlief sehr schlecht deswegen. Der Schock über diese kriminelle Bosheit, dieser kriminelle Schritt, mit der man nicht rechnet", schreibt sie weiter.
Auch der Ulmer Grünen-Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich kommentiert den Vorfall: "Da sieht man wieder, dass aus Worten Taten werden und die Verrohung und Anfeindungen immer gefährlicher werden." Und weiter: "Mit ihrer ständigen Aufwiegelei tragen Söder & Aiwanger Mitverantwortung für solch gewalttätige Eskalationen. Spätestens jetzt müssen sie sich hinterfragen. Es entgleitet ihnen auf brutale Art."
Laut dem Ulmer Grünen-Landtagsabgeordnete Michael Joukov-Schwelling war der Stein aus der "AfD-Querdenker-Gruppe" geworfen worden, er nennt es eine Attacke im "SA-Stil". Für ihn verdeutliche der Vorfall, "wohin das verbale Zündeln gewisser Kreise führt - und dass sie an einem demokratischen Diskurs nicht interessiert sind, sondern nur auf Gewalt, Drohungen, Einschüchterungen setzen und sich dabei gleichzeitig noch heuchlerisch als Opfer gebärden".
Registriertes Publikum kann beim Grünen-Event in Neu-Ulm noch Fragen stellen
Registriertes Publikum konnte bei der Wahlkampfveranstaltung noch Fragen stellen, diese beschäftigten sich unter anderem mit dem Ehrenamt bei Blaulichtorganisationen oder dem Thema Bildung. Ein Fragesteller war auch Daniel Langhans aus Pfaffenhofen, der als eine der bekannteren Persönlichkeiten aus der Szene der Querdenker gilt. Er zeigt in seiner Frage die Probleme des Abends auf: So distanziert er sich unmissverständlich von der Gewalt des Abends, verweist aber auch in Richtung Bühne mit dem Satz, dass Unrecht habe, wer schreit. Zudem erklärt er, dass sich viele Menschen inzwischen ohnmächtig fühlten der Politik gegenüber.
Seine Frage dann lautet, was grüne Politik tun werde, wenn sich bewahrheiten sollte, dass das CO₂ in der Luft in den letzten hundert Jahren nicht zugenommen habe und die Erderwärmung möglicherweise andere Gründe haben könnte, und die Menschen in der Folge dann Klimapolitik ablehnten. Ob die Grünen in einem solchen Fall die Maßnahmen dann dennoch durchdrücken wollten? Was auch in diesem Fall dagegen spräche, eine Solaranlage auf dem Dach zu haben, antwortet Ludwig Hartmann.
Unter den Zuschauern war auch Günter Kammerer, der viele Jahre für die SPD im Neu-Ulmer Stadtrat saß. Er ergriff am Sonntagabend das Mikrofon und entschuldigte sich beim Grünen-Spitzenduo für das Bild, das die Neu-Ulmer Stadtgemeinschaft aufgrund des Steinwurfs und des pfeifenden "Pöbels" von sich abgebe. (mit krom)