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Wissenschaft
Wie ein Forscher-Duo die Ozonschicht rettete
Vor 50 Jahren sagen Forscher eine Bedrohung der Ozonschicht durch FCKW-Stoffe voraus. Als später das Ozonloch gefunden wird, ist klar, was zu tun ist. Das FCKW-Verbot hat noch einen weiteren großen Nutzen
Redaktion
 |  aktualisiert: 06.07.2024 02:38 Uhr

Es war ein unscheinbarer Artikel: kaum drei Seiten lang, ohne Bilder und Grafiken, nur Text und fünf chemische Reaktionsgleichungen. Unter dem nüchternen Titel „Stratosphärische Senke für Fluorchlormethan-Verbindungen – Chlor-katalysierter Abbau von Ozon“ erschien am 28. Juni 1974 im Fachblatt Nature ein Beitrag, der nicht weniger enthielt als den Hinweis auf eine bevorstehende Katastrophe. Die Chemiker und von der Universität von in Irvine beschrieben am Beispiel zweier Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), wie diese Substanzen langfristig für einen Abbau des Ozons in der sorgen würden.

Ungiftig, nicht brennbar, geruchlos und chemisch äußerst stabil

FCKW sind zu jener Zeit als Treibgas in Spraydosen, als Blähmittel bei der Schaumstoff-Produktion und als Reinigungsmittel für Textilien und elektronische Bauteile im Einsatz. Und schon seit den 1930er-Jahren als Kühlmittel in Kühlschränken und Klimaanlagen. Viele Jahrzehnte scheinen sie die ideale Stoffklasse zu sein: ungiftig, nicht brennbar, geruchlos und chemisch äußerst stabil. Doch gerade diese Stabilität ist es, die langfristig zu Problemen führt. Dem englischen Chemiker fällt Anfang der 1970er-Jahre auf, dass sich zwei maßgebliche FCKW, F11 und F12, auch fern jeglicher Zivilisation etwa über dem in der Luft nachweisen lassen. Aus seinen Messreihen kalkuliert er für das Treibmittel F11 grob die Gesamtmenge, die sich in der Atmosphäre befinden muss. Und stellt fest, dass diese in der Größenordnung von Industrieangaben zur bisher insgesamt produzierten Menge liegt. Andere organische Substanzen werden irgendwann durch Licht oder Sauerstoff abgebaut, die sehr stabilen FCKW-Moleküle offenbar nicht.

Die Substanzgruppe gilt als völlig unbedenklich

Doch noch läuten keine Alarmglocken, die Substanzgruppe gilt als völlig unbedenklich. Durch eine Reihe von Zufällen erfährt Abschätzung – und wird neugierig. „Was wird dann eigentlich aus den FCKW?“, fragt er sich. Es dauert kein Jahr, da hat er mit seinem Postdoktoranden Molina die Antwort gefunden. Es gibt doch etwas, das FCKW-Moleküle zur Reaktion bringt: harte UV-Strahlung. Jener Teil des Sonnenlichts also, der nicht auf die Erdoberfläche gelangt, weil ihn das Ozon in der Stratosphäre abfängt, 15 bis 50 Kilometer über uns. Diese UV-Absorption hält dort einen Kreislauf aus Ozonbildung und -abbau in Gang. Ohne den hätte sich außerhalb der Gewässer kaum Leben entwickeln können, denn harte UV-Strahlung ist schädlich für biologische Zellen, etwa in der Haut.

Die FCKW-Moleküle müssen also nur hoch genug aufsteigen, folgern die Chemiker. Irgendwann, nach Jahren, erreichen sie die Zone, in die UV-Strahlung noch eindringt. Dort, so simulieren sie im Labor, würde diese aus den Molekülen reaktionsfreudige Chloratome freisetzen. Und die würden mit Ozon reagieren. Die Chemiker erkennen Analogien zu Arbeiten des Niederländers , der zuvor einen ähnlichen Effekt von Stickoxiden auf Ozon beschrieben hatte. Rowland und Molina entdecken zugleich den Mechanismus einer Kettenreaktion: Demnach kann jedes Chloratom unzählige Ozonmoleküle zerstören. Andererseits sehen die beiden auch, dass das Chlor irgendwann in Molekülen wie Salzsäure und Chlornitrat fest gebunden und dem Kettenmechanismus entzogen wird. Trotzdem warnen sie, dass die Atmosphäre nur eine „begrenzte Aufnahmekapazität für Chloratome“ besitze und diese möglicherweise schon für die damaligen FCKW-Eintragsmengen nicht ausreichend sei.

Verbot? Die FCKW-Produzenten reagieren gereizt

Das Echo auf den Nature-Aufsatz sei zunächst gering gewesen, erinnert sich Rowland später. Erst als die New York Times das Thema im September aufgreift, springen viele US-Medien auf und verbreiten die Hiobsbotschaft von der bedrohten . Rowland tritt nun mit der Forderung nach einem FCKW-Verbot auf. Die FCKW-Produzenten reagieren gereizt. Der Nature-Artikel wird als theoretische Arbeit relativiert, konkrete Beweise zum tatsächlichen Geschehen in der Stratosphäre würden fehlen. Dennoch passiert etwas, das heute fast unvorstellbar erscheint: Obwohl die Realität den Beweis für das Horror-Szenario noch schuldig ist, reagiert die . Schon 1975 erlässt der US-Bundesstaat für 1977 ein FCKW-Verbot in Spraydosen, 1978 folgt ein US-weites Verbot, 1979 zieht Schweden nach.1985 berichten dann britische Forscher von einem gewaltigen Ozonrückgang über der . Dieses sogenannte Ozonloch ist eine reale Bestätigung der Vorhersagen von Rowland und Molina. Wobei die Wissenschaft noch klären muss, warum der Ozonabbau gerade zu Beginn des Frühlings über dem so gravierend ist – in mittleren Breiten aber nur geringe Ausmaße hat und auch über der weit weniger ausgeprägt ist.

Die internationale Gemeinschaft reagiert schnell. Noch 1985 verständigen sich erste Länder im Wiener Übereinkommen auf den Schutz der Ozonschicht. 1987 folgt das Montrealer Protokoll, das 1989 in Kraft tritt und einen detaillierten, nach Stoff-Unterklassen und Ländern gestaffelten Ausstiegsfahrplan für FCKW festlegt, der auf späteren Konferenzen mehrfach ergänzt wird. Anfänglich erscheint der Fahrplan Umweltgruppen als zu zögerlich. Im Juli 1989 etwa besetzen über 200 Greenpeace-Aktivisten Teile des Hoechst-Geländes in und fordern ein sofortiges Ende der dortigen Produktion, die gemäß Montrealer Protokoll erst 1995 auslaufen müsste.

Seit dem Jahr 2000 erholt sich das Ozonloch über der Antarktis

Trotz der Kritik gilt das Montrealer Protokoll, das inzwischen fast 200 Staaten ratifiziert haben, als Erfolgsgeschichte internationaler Umweltpolitik. Die Reduzierung der FCKW-Emissionen hat dafür gesorgt, dass die Chlorkonzentration in der Stratosphäre allmählich sinkt. Davon profitiert inzwischen auch die Ozonschicht. Seit etwa dem Jahr 2000 erholt sich das Ozonloch über der Antarktis langsam. Jüngste Schätzungen der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) sagen die vollständige Erholung der Ozonkonzentrationen in der Stratosphäre für das Jahr 2075 voraus. Ein globaler Mittelwert, denn für die mittleren Breitengrade der Nordhalbkugel soll bereits 2045 eine Rückkehr zu Werten von 1960 erreicht sein, für die Antarktis dagegen erst im nächsten Jahrhundert.

Zugelegt hat jedoch die Emission fünf weniger prominenter FCKW

Ganz so glatt, wie im Montrealer Protokoll fixiert, verläuft der FCKW-Ausstieg allerdings nicht. 2018 melden Forscher, dass die atmosphärische Konzentration von Trichlorfluormethan (F11) seit 2012 nicht mehr so stark zurückgeht wie davor, und schließen über Strömungsmodelle auf Emissionsquellen in . Tatsächlich decken die Behörden illegale Produktionsstätten auf und legen sie still. „Danach sind die Emissionen dramatisch zurückgegangen“, erläutert von der US-Behörde für Wetter und Ozeanographie (NOAA) in und Hauptautor der F11-Studie. 2023 eine weitere Überraschung. Zwischen 2010 und 2020 habe die Emission von fünf weniger prominenten FCKW ebenfalls zugelegt, publizierte ein internationales Forschungsteam. Anders als im Fall von F11 blieb diese Entdeckung bisher folgenlos. „Die Konzentrationen dieser Substanzen steigen weiterhin an“, sagt Johannes Laube vom . Allerdings seien die Mengen für die Ozonschicht derzeit nicht besorgniserregend. 

Den Wissenschaftler beunruhigt die Entwicklung eher hinsichtlich des Klimas. „Für die gängigen FCKW gilt, dass der Beitrag jedes einzelnen Moleküls zur Erderwärmung einige Tausend Mal größer ist als der eines CO2-Moleküls. Schon kleine Konzentrationen haben daher einen Effekt“, sagt Laube. Das Montrealer Protokoll leistet also nebenbei auch einen Beitrag zum Klimaschutz. 2016 wurde es eigens um die H-FKW erweitert, die zum Teil als FCKW-Ersatz fungieren. Sie enthalten kein Chlor und sind daher ozonfreundlich, haben allerdings wie die FCKW ein hohes Treibhausgaspotenzial. Bis 2047 soll ihre Jahresproduktion um über 80 Prozent gesenkt werden. Erste Erfolge zeigen sich bereits: Ein internationales Forschungsteam berichtete jüngst in Nature Climate Change, dass die klimaschädlichen Effekte des H-FKW in der Atmosphäre schon seit 2021 abnehmen – fünf Jahre früher als eigentlich erwartet.

Wie es ohne Montrealer Protokoll weitergegangen wäre

Auch die Ozonschicht selbst hat einen Klimaaspekt. Ohne ihren Schutz würde die stärkere UV-Strahlung das Pflanzenwachstum auf der Erde beeinträchtigen – und damit die Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Wissenschaftler kalkulieren, dass die Umsetzung des Montrealer Protokolls allein aus diesem Grund eine weitere globale Erwärmung um 0,5 bis 1,0 Grad verhindert haben könnte. Die Pioniere Rowland und Molina starben 2012 beziehungsweise 2020 – 1995 erhielten sie zusammen mit Crutzen den für Chemie. Wie es ohne Montrealer Protokoll weitergegangen wäre, simulierte 2009 ein Team um von der US-Weltraumbehörde . Bis 2065 wäre die Ozonschicht demnach um zwei Drittel zurückgegangen, und schon heute würde der Verlust auch über unseren Köpfen in rund 20 Prozent betragen. Mit entsprechenden Folgen der dann stärkeren UV-Strahlung. (, dpa)

 
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