Am Bürgergeld scheiden sich in Deutschland auch ein Jahr nach seiner Einführung weiter die Geister. Während die einen das Bürgergeld als einen wichtigen Schritt nach vorne loben, empfinden Kritiker der Sozialleistung die monatlichen Regelsätze als zu hoch und befürchten, dass der Anreiz zu arbeiten, in Deutschland verloren gehen könnte. Jetzt hagelt es zu allem Überfluss auch noch Kritik aus den Jobcentern. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Umfrage unter Beschäftigten erfuhr, empfindet drei Viertel der Befragten die aktuellen Bürgergeld-Regelsätze als zu hoch. Welche Baustellen die Mitarbeiter der Jobcenter noch sehen, erfahren Sie in diesem Artikel.
Bürgergeld zu hoch? Jobcenter üben massive Kritik
Sieben Jobcenter aus Nordrhein-Westfalen hat das in Berlin ansässige DIW in einer ersten Analyse zur Umsetzung des Bürgergeldes ein Jahr nach dessen Einführung befragt. Die Umfrage bot eine breite Palette an Themen. Unter anderem ging es um die Zufriedenheit der Beschäftigten mit den neuen Regelungen des Bürgergeldes, die Bewertung spezifischer Änderungen im Vergleich mit Hartz IV, wie höhere Regelsätze und neue Sanktionen sowie die Wahrnehmung der Auswirkungen auf die Motivation und Arbeitsintegration der Bürgergeld-Empfänger.
Im Kern zeigten die Umfrageergebnisse: Nur knapp jeder fünfte der befragten Jobcenterbeschäftigten sieht im Bürgergeld eine Verbesserung. Ungefähr die Hälfte nimmt eher eine Verschlechterung der Situation wahr. "Das Bürgergeld hat vor allem ein Imageproblem", befindet Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp, der an der Studie des DIW in Kooperation mit der Universität Bochum beteiligt war.
Die kritischsten Punkte waren dem Bericht zufolge:
- Höhe der Regelsätze: Die Erhöhung der Regelsätze für Erwachsene wurde mehrheitlich negativ bewertet. In der Befragung empfanden 58 Prozent der Beschäftigten diese Erhöhung zu hoch, während nur ein Drittel sie als angemessen ansah.
- Lohnabstandsgebot: Der Abstand des Bürgergeld-Regelsatzes zu niedrigen Löhnen wird von den Befragten ebenfalls kritisch und als wichtiger Punkt im Zusammenhang mit dem Anreiz gesehen, eine neue Stelle aufzunehmen. 64 Prozent der Beschäftigten hatten das Gefühl, dass sich dieser Bereich seit Einführung des Bürgergeldes verschlechtert hat.
- Anreiz eine neue Stelle anzunehmen: Dicht auf das Lohnabstandsgebot folgend sieht das Gros der Befragten beim Thema "Anreiz eine neue Stelle aufzunehmen" eine Verschlechterung seit der Einführung des Bürgergeldes. 63 Prozent der Mitarbeiter beklagen hier einen Abfall. Einher geht dies mit den Bereichen "Mitwirkung der Kunden" und "Motivation der Leistungsberechtigten". Auch in diesen beiden Bereichen sehen 62 Prozent (Mitwirkung) und 59 Prozent (Motivation) der Befragten eine Verschlechterung gegeben.
- Neue Sanktionen: Die neu geregelten Leistungsminderungen, bekannt als Sanktionen, wurden ebenfalls überwiegend negativ aufgenommen. 73 Prozent der Befragten lehnen die neuen Sanktionen im Rahmen des Bürgergeldes ab, während nur 21 Prozent sie beibehalten wollen.
- Bürokratischer Aufwand: Der bürokratische Aufwand zur Leistungsgewährung wurde von 39 Prozent der Beschäftigten als Verschlechterung bewertet.
- Freibeträge beim Schonvermögen: Die Erhöhung der Freibeträge beim Schonvermögen wird von 55 Prozent der Befragten abgelehnt, während 26 Prozent sie befürworten.
Bürgergeld: Diese positiven Aspekte sehen Jobcenter-Mitarbeiter
Durch das Bürgergeld ist alles schlechter geworden? Ganz so einfach sollte man es sich nicht machen, wenn man sich mit dem Report des DIW auseinandersetzt. Denn selbst, wenn viele Veränderungen von den Beschäftigten scharf kritisiert wurden, gibt es auch positive Aspekte beim Bürgergeld zu benennen:
- Verbesserte Betreuung Langzeitarbeitsloser: Das verbesserte Coaching für Langzeitarbeitslose erhielt die größte Zustimmung unter den Befragten. 88 Prozent der Jobcenterbeschäftigten befürworten die Beibehaltung dieser Maßnahme.
- Höhere Regelsätze für Kinder: 55 Prozent der Befragten empfanden die Erhöhung des Regelsatzes für Kinder in Form des Kinderzuschlags als gerechtfertigt.
- Einführung einer Bagatellgrenze: Die Einführung einer Bagatellgrenze, bei der Überzahlungen unter 50 Euro pro Bedarfsgemeinschaft nicht zurückgefordert werden, wurde positiv aufgenommen. 57 Prozent der Befragten befürworten diese Regelung, und es wird als eine signifikante Maßnahme angesehen, die einen Beitrag zum Bürokratieabbau leistet.
Kritik am Bürgergeld: Was muss aus der Befragung folgen?
In der Umfrage wurden insgesamt 5818 Beschäftigte aus sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen angeschrieben. Von diesen füllten laut DIW 1894 Beschäftigte den Fragebogen vollständig aus. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 1273 Integrationsfachkräften, die für die Arbeitsvermittlung zuständig sind, und 621 Beschäftigten aus dem Leistungsbereich, die für die Bewilligung und Auszahlung der Gelder verantwortlich sind. "Auch wenn die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, können die Befunde einen ersten Puzzlestein darstellen, um eine empirische Aussage zu den Auswirkungen der Bürgergeldreform zu treffen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass das Bürgergeldgesetz trotz der bisher wenig positiven Bewertung der Beschäftigten zu einer Verbesserung der Eingliederung und der sozialen Integration der Bürgergeldberechtigten führt", stellt das DIW am Ende seines Berichts klar.
Das Institut empfiehlt nun eine genauere Untersuchung über die Auswirkungen und die Effektivität des Bürgergeldes. Insbesondere die Bereiche "Höhe der Regelsätze" und "Sanktionen" sollten in diesem Zusammenhang noch einmal hinterfragt und neu bewertet werden. Hingegen könnten die Unterstützungsangebote für Arbeitslose und die Digital-Angebote weiter ausgebaut werden, während es Ziel sein sollte, den bürokratischen Aufwand, den das Bürgergeld verursacht, weiter zu verringern.