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Bürgergeld
Transferentzugsrate beim Bürgergeld: So viel Geld verlieren Sie dadurch
Ein Gutachten für die Bundesregierung hat einen Konstruktionsfehler beim Bürgergeld entdeckt. Im Extremfall führt er dazu, dass sich Arbeit für Geringverdiener nicht mehr lohnt.
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Foto: Monika Skolimowska, dpa (Symbolbild) | Wenn sich Arbeit nicht mehr lohnt: Ein Gutachten für die Bundesregierung übt scharfe Kritik am Bürgergeld.
Lennardt Loß
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:56 Uhr

Große Defizite, Parallelstrukturen und Intransparenz: Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen übt scharfe Kritik am Bürgergeld. Dabei hat vor allem ein Punkt aus dem Gutachten Schlagzeilen gemacht: Unter bestimmten Umständen sparen Geringverdiener Geld, wenn sie weniger arbeiten.

Das Grundproblem: In Deutschland gibt es zwei Grundsicherungssysteme

Um zu verstehen, warum sich Arbeit für einige Aufstocker nicht mehr lohnt, muss man zuerst verstehen, wie das Bürgergeld in Deutschland funktioniert. Eine Schritt-für-Schritt-Erklärung: 

Genau hier liegt der Konstruktionsfehler. Denn für Aufstocker gelten laut den Gutachtern andere Regeln und Förderinstrumente als für Arbeitslose:

  • Mit dem Bürgergeld können Arbeitslose unter anderem die Kosten für ihre Miete, fürs Warmwasser und für die Heizung decken.
  • Für Aufstocker greifen hingegen andere Förderungsmaßnahmen. Ihnen steht Wohngeld zu, ein Kinderzuschlag und das Kindergeld.

Damit existieren in Deutschland laut den Gutachtern de facto zwei Grundsicherungssysteme nebeneinander. An einer Stelle sprechen die Gutachter sogar von Parallelstrukturen für Geringverdiener in der Grundsicherung.

Insgesamt identifizieren die Gutachter in ihrem Bericht drei Probleme, die sich aus der Parallelstruktur in der Grundsicherung ergeben. So können Aufstocker in die paradoxe Situation geraten, dass sie weniger Geld auf dem Konto haben, wenn sich ihr Gehalt erhöht.

Problem 1: Ungleiche Förderung je nach Wohnort

Es ist einer der schärfsten Kritikpunkte im Bericht: An einer Stelle sprechen die Gutachter von Parallelstrukturen in der Grundsicherung. Doch um zu erklären, wie diese Parallelstrukturen aussehen, muss man ein wenig ausholen.

Das Bürgergeld soll fair sein. Menschen in vergleichbaren Lebenssituation sollen am Ende den gleichen Betrag auf ihrem Konto haben. Deswegen ist der Bürgergeld-Regelsatz einheitlich: Singles erhalten 502 Euro, Alleinerziehende mit einem Kind unter sechs Jahren 1.001 Euro und ein Ehepaar mit zwei Schulkindern 1.598 Euro.

Anders sieht es bei den Kosten für die Unterkunft aus. Die Mietpreise unterscheiden sich in Deutschland stark voneinander. Das Leben in der Stadt ist meistens teurer als auf dem Land, die Miete im Osten oft niedriger als im Westen.

Um auch hier Fairness zu schaffen, orientiert sich das Jobcenter bei den Kosten für die Unterkunft am örtlichen Mietspiegel. So erhält ein Single, der in der teuren Stadt München lebt, bis zu 945 Euro vom Jobcenter, um seine Miete zu begleichen. Ein Single aus dem günstigeren Leipzig erhält hingegen nur bis zu 402 Euro.

So weit, so gerecht. Doch das ändert sich, wenn man die Einkommenssituation von Arbeitslosen mit der von Aufstockern vergleicht. Denn bei Aufstockern schmilzt die Höhe des Wohngeldes und des Kinderzuschlags mit der Höhe ihres Bruttoeinkommen. Der Fachbegriff dafür lautet: Transferentzugsrate.

Laut den Gutachtern führt das zu der Situation, dass eine vierköpfige Familie aus Leipzig mit einem Bruttoeinkommen von 2.915 Euro über 474 Euro mehr für die Abdeckung des täglichen Bedarfs zur Verfügung hat als eine vergleichbare Familie aus München.

Problem 2:  Das System ist zu komplex

Der zweite große Kritikpunkt der Gutachter ist die Undurchsichtigkeit der beiden Grundsicherungssysteme. Sie schreiben: „Wer in welchem Einkommensintervall wie viel hinzuverdient, ist in hohem Maße intransparent und für den Einzelnen kaum nachvollziehbar.“

Außerdem sei der Anreiz, die Arbeitszeit zu erhöhen, ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro ohne Kinder und 1.500 Euro mit Kindern nicht mehr gegeben, weil dann alle zusätzlichen Einnahmen mit dem Bürgergeld verrechnet werden.

Stellenweise kommt es laut den Gutachtern sogar zu Transferentzugsraten von über 100 Prozent. Das bedeutet: Wer eine Gehaltserhöhung bekommt, hat am Ende weniger Netto auf dem Konto als vorher.

Ein Beispiel aus dem Bericht:

  • Stellen wir uns ein Ehepaar aus München vor. Das Paar hat zwei Schulkinder. Die Mutter arbeitet. Der Mann bleibt zu Hause.
  • Wenn sich der Bruttolohn der Mutter von 4.000 Euro auf 4.320 Euro im Monat erhöhen würde, würde sich das Haushaltseinkommen aufgrund der Abzüge um 4 Euro verringern.
  • Die Bilanz: Für die vierköpfige Familie lohnt sich Arbeit nicht. Die Gutachter schreiben dazu: „Tatsächlich würde eine Arbeitszeitreduktion auf 75 Prozent den Haushalt bei gleichem Stundenlohn gerade einmal 21 Euro im Monat kosten.“ Eine solche Anreizstruktur sei angesichts der steigenden Arbeitskräfteknappheit höchst problematisch.

Problem 3: Zu viel Bürokratie

Die Gutachter kritisieren in ihrem Bericht nicht nur, dass die beiden Grundsicherungssysteme zu komplex und für den Einzelnen fast undurchschaubar sind. Sie bemängeln auch den hohen bürokratischen Aufwand hinter den Systemen.

Jede Mieterhöhung habe Auswirkungen auf die Höhe der Grenzbelastung und darauf, welches Grundsicherungssystem zuständig sei, sagen die Gutachter. Dauerhaft werde das dazu führen, dass Transferbezieher wiederholt zwischen den Grundsicherungssystemen wechseln müssen und sich mit insgesamt drei unterschiedlichen Behörden auseinandersetzen müssen. „Damit sind sie mit wechselnden Ansprechpartnern in der Verwaltung konfrontiert und sehen sich immer wieder anderen Transferentzugsraten gegenüber.“

Ein einheitliche Grundsicherung: Das fordern die Gutachter

Unfair, zu komplex, zu bürokratisch: In ihrem Bericht üben die Gutachter scharfe Kritik am Bürgergeld. Doch sie bieten auch Lösungsvorschläge. So fordern die Gutachter die Bundesregierung dazu auf, eine einheitliche Grundsicherung zu schaffen und das Wohngeld neu zu konzipieren.

Sie schreiben: „Das Bürgergeld würde dann nur noch der Abdeckung des alltäglichen Bedarfs erwachsener Haushaltsmitglieder dienen. Eine solche Reform kann sicherstellen, dass die bedarfsorientierte Grundsicherung durchgängig dem Prinzip der Absicherung gleicher Lebensverhältnisse folgt.“

 
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