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Sozialleistung
Bürgergeld: Suchen immer weniger Empfänger einen Job?
Eine Studie zum Thema Bürgergeld sorgt für Aufsehen. Demnach ist er Anteil der Empfänger, die einen Job aufnehmen, gesunken. Der Autor liefert Verbesserungsvorschläge.
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Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild) | Geld auch ohne Arbeit: Einer Studie zufolge landet eine verschwindend geringe Zahl an Bürgergeld-Empfängern in einem neuen Job.
Marcus Giebel
 |  aktualisiert: 04.06.2024 06:13 Uhr

Die Kritik am Bürgergeld reißt nicht ab. Vor allem aus Reihen der Union und der FDP heißt es, der seit 2023 bestehende Nachfolger von Hartz IV würde zum Nichtstun animieren. Vielmehr würden Arbeitnehmer sogar ihren Job kündigen, um von der heftig diskutierten Sozialleistung zu leben. Daher werden Forderungen nach einer Reform des von Arbeitsminister Hubertus Heil aus der Taufe gehobenen Bürgergeld lauter. Der SPD-Politiker verschärfte auf den Druck hin bereits die Sanktionsmöglichkeiten.

Eine neue Studie dürfte nun aber ein wenig mehr Wasser auf Mühlen der Kritiker geben. Was diese Forschungsarbeit herausgefunden hat und wie man das Problem angehen könnte, erfahren Sie in diesem Artikel. 

Studie zum Bürgergeld: Jobaufnahmen sinken nach Reform

Die Studie mit dem Titel "Die gemäßigte Wende: Deutschlands Sozialleistungsreform und Arbeitssuche" stellt im Kern fest, dass die Jobaufnahmen aus der Grundsicherung im ersten Jahr nach der Bürgergeld-Reform um fast sechs Prozent sanken.

Grundlage der Studie waren laut deren Autor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die offiziellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Im Rahmen der Studie galt die Arbeitslosigkeit erst als beendet, wenn jemand eine nicht subventionierte Stelle antritt.

Bürgergeld oder Arbeit: Ende 2023 finden nur 2,2 Prozent der Empfänger einen Job

Wichtig: Bei den Zahlen wurden die ukrainischen Bürger, die vor Russlands Angriffskrieg nach Deutschland geflohen sind und hier von Bürgergeld leben, nicht berücksichtigt. So ergab sich, dass ein erster Einbruch im Jahr 2020 – also zu Beginn der Corona-Pandemie – festzustellen war. Damals fanden nur 1,5 Prozent der Hartz-IV-Bezieher einen neuen Job.

Nach einem merklichen Aufschwung inklusive Kratzens an der Drei-Prozent-Marke geht der Wert seit 2022 kontinuierlich zurück. Bereits in jenem letzten Jahr vor dem Bürgergeld erkennt Weber, der auch einen Lehrstuhl an der Universität Regensburg innehat, ein Absinken um rund 20 Prozent oder sogar um ein Drittel im Vergleich zu 2019.

Der stärkste Rückgang fiel demnach auf den Juli 2022, dem ersten Monat des Sanktionsmoratoriums. Mit diesem wurden "Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen, wie beispielsweise der Ablehnung eines Arbeitsangebotes oder Abbruch einer Weiterbildungs­maßnahme, befristet für die Dauer eines Jahres ausgesetzt", wie das Arbeitsministerium erklärt.

Ende 2023, also nach einem Jahr Bürgergeld, lag der Anteil der neu in einem Job gelandeten Empfänger bei etwa 2,2 Prozent. Als Erklärung für die Schwächephase Mitte 2022 führt Weber die wenig zuvor aufgekommene Energiekrise an, wodurch die Zahl der neu registrierten Stellenangebote teilweise niedriger gewesen sei als während des zweiten Corona-Lockdowns.

Sanktionen beim Bürgergeld: Schon bloße Möglichkeit beeinflusst Verhalten

Grundsätzlich lässt sich der Studie zufolge feststellen, dass eine nahezu vollständige Aussetzung von Sanktionen stärkere Auswirkungen hat, als eine Einschränkung. Das Sanktionsmoratorium habe zur Folge gehabt, dass vier Prozent der Stellen jeden Monat nicht mehr besetzt wurden.

Es ist davon auszugehen, dass schon die bloße Möglichkeit von Sanktionen das Verhalten beeinflusst. Nach dem Moratorium hätten sich die Sanktionen wegen der Ablehnung eines Jobs oder der Nichteinhaltung der Eingliederungsvereinbarung mehr als halbiert – von Juni bis September 2023 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 um 56 Prozent –, häufigster Grund für Sanktionen sei das Verpassen von Terminen.

Außerdem sei die durchschnittliche Leistungskürzung aufgrund der Sanktionen deutlich um 43 Prozent zurückgegangen. Neue Sanktionen würden kürzer ausfallen, zumeist ein Monat.

Zu befürchten sei laut der Studie, dass mit zunehmendem Druck die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Menschen perspektivlose und schlecht bezahlte Jobs annehmen oder sich ganz von der Vermittlung abwenden, wenn ihre Lebensbedingungen stark beeinträchtigt werden.

Bürgergeld der Zukunft: Sanktionen lieber länger statt höher?

Weber empfiehlt daher, "Leitungssysteme zu konzipieren, die eine stärkere Inanspruchnahme von Arbeitsplätzen mit einem Schwerpunkt auf Ausbildung und beruflicher Entwicklung kombinieren".

Zudem plädiert er für Einstiegssubventionen, längere statt höherer Sanktionen, die bei Wiederaufnahme der Zusammenarbeit wieder aufgehoben werden können, einen Inflationsausgleich der Leistungen, der Kaufkraftverluste zeitnah ausgleicht, aber unverhältnismäßige Erhöhungen vermeidet, Investitionen in Case-Management-Kapazitäten, um auf die individuellen Gründe für Arbeitslosigkeit einzugehen, sowie eine duale Qualifizierung, die Berufserfahrung und Ausbildung zusammenführt.

Weber schätzt, dass sich wegen des geringeren Drucks auf Arbeitssuchende die Einstellungslöhne und die Dauer der Beschäftigung verbessern könnten. Allerdings könnte es auch vermehrt zu Trennungen kommen, wegen einer geringeren Kompromissbereitschaft und einer geringeren Neigung, Arbeitnehmer auf einem weniger angespannten Arbeitsmarkt zu halten.

Zudem müsse bedacht werden, dass der Reformeffekt im ersten Jahr noch nicht voll zur Geltung gekommen sei. Unabhängig von der genauen Ausgestaltung vom Bürgergeld wird es immer sogenannte "Totalverweigerer" geben. Auf diese Gruppe hat es die CDU besonders abgesehen.

Studie zum Bürgergeld: Langfristige Effekte vernachlässigt

Webers Bürgergeld-Studie zeigt umfassende Erkenntnisse über die Auswirkungen auf die Jobaufnahme. Allerdings ist zu bedenken, dass auch externe Faktoren wie die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine sowie die daraus entstandene Energiekrise die Ergebnisse beeinflusst haben könnten.

Die Studie konzentriert sich zudem auf sehr kurzfristige Auswirkungen und vernachlässigt mögliche langfristige Effekte auf Qualifikation, Jobqualität und Beschäftigungsstabilität. Wie der Autor selbst erwähnt, könnten neben der Kontrollgruppe zusätzliche Vergleichsgruppen nützlich sein, um Verzerrungen weiter auszuschließen.

Des Weiteren ist zu erwähnen, dass die komplexe Natur der Reform die Identifizierung einzelner Ursachen erschwert. Zudem war das Bewusstsein der Betroffenen über das Sanktionsmoratorium möglicherweise unvollständig.

Übrigens: Wegen all der Kritik am Bürgergeld schlägt Bundeskanzler Olaf Scholz vor, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen, um die Arbeitsmotivation für Bürgergeld-Empfänger zu steigern und deren Einkommen zu verbessern. Diese Initiative stößt aber auf gemischte Reaktionen bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft.

 
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