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Expertengutachten
Ist das Bürgergeld ungerecht? Neue Studie kommt zu diesem Schluss
Das Bürgergeld-Gesetz ist noch frisch, es gibt jedoch bereits Optimierungsbedarf. Eine Studie bewertet das Sozialsystem als ungerecht, besonders in Sachen Zuverdienst.
100-Euro-Schein im Geldbeutel.jpeg       -  Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie bemängelt die Regelung hinsichtlich Zuverdienst.
Foto: Patrick Pleul, dpa (Archivbild) | Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie bemängelt die Regelung hinsichtlich Zuverdienst.
Patrick Freiwah
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:32 Uhr

Mit dem im vergangenen Jahr eingeführten Bürgergeld sollte das deutsche Sozialsystem neuen Schwung erhalten. Dass die große Reform 2023 bei der Umsetzung jedoch Luft nach oben hat, zeigt die Studie eines Expertengremiums. Forscherinnen und Forscher untersuchten im Auftrag des Arbeits- und Sozialministeriums (BMAS) die aktuelle Grundsicherung in Deutschland und bemängelt die derzeit geltende Regelung im Hinblick auf Gerechtigkeit.

Vor einigen Wochen waren bereits Ergebnisse der Auswertung durchgesickert, über die wir berichteten. Auf der Website des BMAS ist nun das komplette Werk einsehbar, in Form einer Kurzversion (65 Seiten) sowie einer Langversion (201 Seiten). Darin gibt es auch Kritik am Bürgergeld-Gesetz in Bezug auf den Zuverdienst und die Freigrenzen, die nach Meinung der Experten mit einer Reform optimiert gehören. Bei den Ökonomen handelt es sich um Experten des ifo-Instituts sowie dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Bürgergeld-Gesetz mit Schwächen - Experten sehen Verbesserungsbedarf

Ein großer Kritikpunkt lautet, dass das Bürgergeld-Gesetz zu kompliziert und schwer zu durchschauen sei, was am "Zusammenspiel unterschiedlicher Leistungen" liege, die zudem "von verschiedenen Stellen verwaltet" werden. Ein Problem der Sozialleistungen geriet hierbei schon früher auf den Tisch: Personen können bei gleichem Arbeitseinkommen in unterschiedlicher Höhe gefördert werden, aufgrund von regionalen Gesichtspunkten. Das betrifft jedoch nicht nur Bürgergeld-Empfängerinnen und Empfänger: Auch bei Wohngeld mit Kinderzuschlag werden Personen mit niedrigen Freigrenzen bestraft, welche arbeiten und einen Zuverdienst haben.

Das Gutachten erörtert nicht nur Missstände der Bürgergeld-Gesetzgebung, es beinhaltet auch einen Reformvorschlag: Konkret würde dies bewirken, dass sich Arbeit aus Sicht von Bürgergeld-Empfängern mehr lohnt und demzufolge mehr Menschen ins Berufsleben zurückkehren könnten (das Hauptanliegen des Bürgergeldes). Zwar würden dem deutschen Staat durch die Maßnahme zunächst mehr Ausgaben blühen, angesichts höherer Freigrenzen. Jedoch ergeben sich den Experten zufolge langfristig zusätzliche Einnahmen, auch aufgrund gestiegener Steuereinnahmen aus Erwerbstätigkeit.

Bürgergeld: Aktuelle Zuverdienstgrenzen und Reformvorschlag

Der Wissenschaftliche Beirat hält eine neue Struktur der einzelnen Fördersysteme für unausweichlich, um eine leistungsgerechtere Sozialsicherung herzustellen. Dies könnte im Rahmen der Reform der Kindergrundsicherung stattfinden, lautet einer der Vorschläge. Darüber hinaus sollen auch die Freigrenzen nach oben verschoben werden. Die derzeit geltenden Zuverdienstgrenzen seien unzureichend und würden oft keinen Arbeitsanreiz bieten. Wer Bürgergeld aufstockt, ist Stand jetzt mit folgendem konfrontiert:

  1. Die ersten 100 Euro gelten beim Einkommen als Grundfreibetrag
  2. Für Einkommen zwischen 100 und 520 Euro beträgt der Freibetrag 20 Prozent
  3. Für Einkommen zwischen 520 und 1000 Euro beträgt der Freibetrag 30 Prozent
  4. Für Einkommen zwischen 1000 und 1200 Euro beträgt der Freibetrag 10 Prozent (bei Haushalten mit Kindern wird auf 1500 Euro erhöht)

Bei Einkommen ab 1200 beziehungsweise 1500 Euro entfallen die Freibeträge. Die zentralen Elemente des Reformvorschlags seitens ifo-Institut und ZEW sind höhere Freigrenzen, von denen Betroffene mit Arbeitseinkommen profitieren:

  • Einkommen bis 100 Euro ziehen weiter keine Bürgergeld-Reduzierung nach sich.
  • Einkommen zwischen 101 und 520 Euro unterliegen weiterhin 20 Prozent.
  • Einkommen zwischen 520 Euro und 2000 Euro unterliegen einem Freibetrag in Höhe von 30 Prozent. Die Absicht: Der mit dieser Transferentzugsrate versehene Einkommensbereich wird verbreitert und für wesentlich mehr Bürgergeld-Bezieher lohnt es sich, arbeiten zu gehen und Geld zu verdienen.
  • Das betrifft auch "Gutverdiener": Einkommen über 2000 Euro sollen sich lohnen, denn die vorgeschlagene Bürgergeld-Reform sieht eine Zuverdienstgrenze von 35 Prozent vor.

Bürgergeld-Reform beim Zuverdienst? Der positive Effekt

Sollte beim Bürgergeld mit einer Reform die Zuverdienstgrenzen angepasst werden, würde das über mehrere Bevölkerungsgruppen hinweg einen positiven Effekt erzeugen: einen verbesserten Arbeitsanreiz. So steht in dem veröffentlichten Forschungsbericht: "Unsere Analysen lassen erwarten, dass eine Reform mit diesen Eigenschaften für einige Haushaltstypen so stark auf die Erwerbsanreize wirkt, dass die Beschäftigung tatsächlich hinreichend stark steigt und der Staat insgesamt entlastet wird." Laut dem Gutachten sei das sowohl bei Alleinerziehenden als auch Familien mit zwei Elternteilen im Haushalt der Fall, darüberhinaus bei Alleinstehenden ohne Kind. Auch bei Paaren mit drei und mehr Kindern würde die vorgeschlagene Bürgergeld-Reform zu einer finanziellen Besserstellung und zu einer höheren Erwerbstätigkeit führen.

Zum einen werde durch eine solche Maßnahme der Arbeitsmarkt entlastet (Stichwort Fachkräftemangel), zum anderen lohne sich ein derartiger Schritt auch in finanzieller Hinsicht: denn der vorgeschlagene Reformansatz würde sich selbst finanzieren. "Nach erfolgter Beschäftigungsanpassung verbessert sich gemäß Mikrosimulationsmodell des ifo-Instituts der Saldo der öffentlichen Haushalte gegenüber dem Status quo um rund 1,1 Mrd. Euro", ist in dem Bericht zu lesen.

 
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