Das Bürgergeld ist zu hoch und sorgt deshalb dafür, dass immer weniger Menschen in Deutschland eine Arbeitsstelle annehmen - so lautet die häufige Kritik an dem Nachfolger von Hartz IV. Besonders seit der Bürgergeld-Erhöhung zum Start ins Jahr 2024 reißen die Stimmen nicht ab, die eher eine Reduzierung der Grundsicherung fordern, statt deren stetige Erhöhung. Jüngst brachte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber einen anderen Ansatz in die Diskussion ein: Warum nicht den Mindestlohn in Deutschland signifikant auf 15 Euro anheben und damit den Abstand zum Bürgergeld erhöhen? Doch wäre der Unterschied zum Bürgergeld wirklich so groß und wie stehen die Chancen, dass dieses Unterfangen überhaupt genug Anhänger findet?
Bürgergeld: Lassen sich die Probleme mit 15 Euro Mindestlohn lösen?
Studien, die den geringeren Arbeitsanreiz durch das Bürgergeld belegen sollen, gibt es einige. Kürzlich veröffentlichte beispielsweise das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine Untersuchung, laut derer die Zahl der Menschen, die aus der Grundsicherung einen neuen Job aufnehmen, um 5,7 Prozent gesunken seien, seitdem das Bürgergeld eingeführt wurde. Konkret ginge es dabei um 30.000 nicht angetretene Jobs. Insgesamt waren die Jobaufnahmen um 20 Prozent gesunken. Die Autoren der Studie merkten allerdings auch an, dass andere Gründe beim Rückgang der Arbeitsaufnahme eine Rolle spielen könnten - insbesondere der wirtschaftliche Abschwung.
Dennoch ist der vermeintlich zu geringe Abstand zwischen Bürgergeld und dem Gehalt von Menschen, die arbeiten - speziell derer, die im Niedriglohnsektor tätig sind - immer wieder Gegenstand von Debatten. In diese schaltete sich jetzt auch Bundeskanzler Olaf Scholz ein, der in einem Interview mit dem Stern forderte, den Mindestlohn in Deutschland von den derzeit 12,41 Euro schrittweise auf 15 Euro anzuheben. "Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben", sagte Scholz dem Nachrichtenmagazin.
Der Kanzler verspricht sich von einer solchen Erhöhung mehrere positive Effekte. Zum einen würde sich die Einkommenssituation von Menschen, die trotz Vollzeitarbeit nur ein geringes Einkommen erzielen und somit ergänzend auf Bürgergeld angewiesen sind, erhöhen. Sie könnten durch eine Erhöhung unabhängiger von staatlicher Unterstützung werden. Zum anderen würde es eine Entlastung der Sozialsysteme bedeuten, wenn mehr Menschen ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten könnten. Primär könnte eine Erhöhung aber eine gesellschaftliche Signalwirkung haben. Denn sie würde deutlich machen, dass Arbeit angemessen bezahlt werden muss und insgesamt die Wertschätzung von Arbeit und damit auch die Motivation der Menschen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, erhöhen. Auch, weil durch den Mindestlohn der Abstand von Arbeitenden zu Bürgergeld-Empfängern deutlicher ausfallen könnte.
Bei einer solchen Forderung stellt sich allerdings die Frage, ob eine Erhöhung des Mindestlohns allein schon ausreichen könnte, um ausreichend Anreiz für Bürgergeld-Empfänger zu bieten, sich doch um Arbeit zu bemühen. Wir haben einmal in einer kurzen Rechnung gegenübergestellt, wie sich Alleinstehende, aber auch Familien durch eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro gegenüber dem Bezug von Bürgergeld monatlich verbessern würden.
Wichtig: Wir gehen in unserer Rechnung von einer 40-Stunden-Woche aus und bei einigen Variablen vom Bundesdurchschnitt, beispielsweise bei dem Mietzuschuss oder den Heizkosten. Deutschlandweit könnten die Abstände zum Bürgergeld also variieren.
Alleinstehende Personen mit Bürgergeld:
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Bürgergeld Erwachsene: 563 Euro
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Mietzuschuss: ca. 622 Euro
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Heizkostenzuschuss: ca. 77 Euro
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Übernahme der Rundfunkgebühr: 18,36 Euro
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Gesamteinkommen: 1281 Euro
Alleinstehende Personen mit 15 Euro Mindestlohn:
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Bruttoeinkommen: 2600 Euro
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Nettoeinkommen (Gesamteinkommen): 1805 Euro
Familie mit zwei Kindern mit Bürgergeld:
- Bürgergeld Erwachsene: 1012 Euro
- Bürgergeld Kinder (Durchschnitt): 812 Euro
- Mietzuschuss: ca. 1182 Euro
- Heizkostenzuschuss: ca. 147 Euro
- Übernahme der Rundfunkgebühr: 18,36 Euro
- Gesamteinkommen Bürgergeld: 3171 Euro
Familie mit zwei Kindern mit 15 Euro Mindestlohn (Ein Elternteil arbeitet Voll-, einer Teilzeit):
- Bruttoeinkommen Elternteil 1 (Vollzeit): 2598 Euro
- Bruttoeinkommen Elternteil 2 (Teilzeit): 1299 Euro
- Nettoeinkommen gesamt (ca. 70 Prozent): 2727,90 Euro
- Kindergeld: 500 Euro
- Gesamteinkommen Arbeit: 3227,90 Euro
Eine alleinstehende Person würde sich in dieser groben Rechnung im Vergleich mit einem Bürgergeld-Empfänger, der den Regelsatz erzählt, um 524 Euro monatlich besser stellen. Für Familien mit Kindern, mit einem Elternteil in Vollzeit und einem in Teilzeit beträgt der Vorteil 56,90 Euro pro Monat, was immer noch eine positive, wenn auch geringere, Verbesserung darstellt. Ob diese allerdings ausreicht, um insbesondere Familien, die sich mit einem Teilzeit-Modell behelfen müssen, um die Versorgung ihrer Kinder sicherzustellen, vom Bürgergeld in die Beschäftigung zu ziehen, ist fraglich.
Der Mindestlohn in Höhe von 15 Euro könnte also nur in bestimmten Szenarien und zunächst einmal nur theoretisch dazu beitragen, dass sich mehr Menschen entschließen, aus der Grundsicherung eine Arbeitsstelle anzutreten.
Mindestlohn in Höhe von 15 Euro: So reagierten Politik und Verbände
Der Vorschlag des Bundeskanzlers hat die unterschiedlichsten Reaktionen in der Politik und bei Interessengruppen ausgelöst. Gewerkschaften und Sozialverbände zeigten sich laut einem dpa-Bericht angetan von der Aussicht, den Mindestlohn auf 15 Euro anzuheben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Verdi betonten, dass der aktuelle Mindestlohn nicht ausreiche, um die Lebenshaltungskosten zu decken, und dass eine Erhöhung auf 15 Euro notwendig sei, um einen armutsfesten Lohn zu gewährleisten. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) unterstützt ebenfalls die Anhebung und fordert, dass die Ankündigungen von Scholz nicht nur Wahlkampfgetöse bleiben, sondern tatsächlich umgesetzt werden.
Vonseiten der FDP und der Arbeitgeberverbände setzte es allerdings Kritik und auch die Union zeigte sich von dem Vorschlag alles andere als begeistert. Der Arbeitgeberverband BDA beispielsweise sah in dem Vorschlag des Kanzlers eine Einmischung in die Arbeit der Mindestlohnkommission, die traditionell unabhängig agiert. Für die Wirtschaft, die Arbeitsplatzsicherheit und die Tarifautonomie sei es nach den Worten von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger "brandgefährlich, aus wahlkampftaktischen Gründen den Druck auf die Mindestlohnkommission stetig zu erhöhen – und das bereits mehr als ein Jahr vor der nächsten Entscheidung".
Auch die FDP lehnte den Vorschlag ab. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai betonte gegenüber dem Stern, dass die Festlegung des Mindestlohns Aufgabe der unabhängigen Mindestlohnkommission sei und politische Eingriffe das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern stören könnten. FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler warnte vor einer politischen Einflussnahme, die die Arbeit der Kommission untergraben könnte. Den Liberalen scheint eher daran gelegen, Bürgergeld-Empfänger bei Verstößen stärker zu sanktionieren - mit Leistungskürzungen von bis zu 30 Prozent.
Höherer Mindestlohn: Wie wahrscheinlich ist die Umsetzung?
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Karl-Josef Laumann lehnte eine willkürliche Festlegung durch die Politik ebenfalls ab. Er schlug stattdessen vor, den Mindestlohn an die Entwicklung des mittleren Lohns zu koppeln, um eine faire Lohnuntergrenze zu gewährleisten. Laumann sieht in der Forderung von Scholz auch ein frühes Wahlkampfmanöver der SPD. "Die SPD steigt bereits jetzt in den Wahlkampf über den Mindestlohn ein", kritisierte er gegenüber dem Stern.
Betrachtet man diese Reaktionen genauer, scheint eine schnelle Einführung des 15-Euro-Mindestlohns eher unwahrscheinlich. Zum einen spielt die Mindestlohnkommission eine zentrale Rolle bei der Festlegung und eine Erhöhung könnte nur dann umgesetzt werden, wenn die Kommission die befürwortet oder die Ampel beschließt, die Empfehlung zu übergehen, was jedoch einen Bruch mit der bisherigen Praxis bedeuten würde. Eine Erhöhung durch die Kommission findet zudem in der Regel nur alle zwei Jahre statt. Zum anderen könnte eine Umsetzung am Widerstand der FDP scheitern, denn zwar scheinen SPD und Grüne auf einer Linie zu sein, was die Erhöhung des Mindestlohns angeht, als Koalitionspartner könnten die Liberalen eine Einführung aber abschwächen oder gar gänzlich blockieren.