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Augsburg
Wegen HNO-Streik: Mutter muss um OP-Termin für ihren Sohn kämpfen
Der vierjährige Henry muss dringend an den Ohren operiert werden. Doch viele HNO-Ärzte streiken seit Jahresbeginn. Seine Mutter erzählt von ihrem Kampf.
Ina Marks
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:18 Uhr

Sie sei "sehr wütend", sagt Agnes Panjas. Ihre Söhne spielen bei Sonnenschein im Garten, die Mutter sitzt im Wohnzimmer und erzählt. Sie sorgt sich um ihren jüngsten Sohn Henry. Der Vierjährige leidet an Paukenerguss. In beiden Ohren des Buben hat sich hinter dem Trommelfell Flüssigkeit angesammelt, Henry hat deshalb immer wieder Schmerzen. Eigentlich ließe sich das Problem mit einer Operation lösen. Es gibt aber kaum Termine, die Wartelisten sind lang. Denn seit Anfang des Jahres streiken viele HNO-Ärzte. Die Mutter aus dem Augsburger Stadtteil Haunstetten berichtet von ihrer Odyssee und erzählt, warum sie ihren Sohn jetzt außerhalb Bayerns operieren lassen muss.

Im vergangenen Winter ging es los. "Es folgten Monate voller Infektionen", berichtet Agnes Panjas. Den kleinen Henry plagte immer wieder hohes Fieber. Eine Hals-Nasen-Ohren-Ärztin stellte bei dem Kind Paukenerguss in beiden Ohren fest. Laut Panjas sei ihrem jüngsten Kind in dieser Zeit dreimal Antibiotikum verschrieben worden. "Allein an Antibiotikum zu kommen, war schon schwer. Dann war die Dosierung nicht passend und es kam zu allergischen Reaktionen." Das war aber nur das kleinere Problem, wie sich herausstellen sollte: Die Eltern versuchten, für ihr Kind einen Termin für eine Operation zu bekommen, auch müssen die vergrößerten Polypen verkleinert werden. Für HNO-Ärzte ist das ein Routine-Eingriff. Doch etliche Fachärzte sind bei diesen OPs bereits Anfang des Jahres in eine Art Streik getreten. Viele bieten Mandel- und Polypen-Operationen nur noch in absoluten Notfällen an. Der Grund ist ein Streit um die Vergütung solcher Eingriffe.

HNO-Streik: Familien aus Augsburg sind die Leidtragenden

Ende vergangenen Jahres hatten sowohl die Kassenärztliche Bundesvereinigung als auch der Verband der gesetzlichen Krankenkassen die Honorare für die ambulanten Operationen neu bestimmt. Mit der Konsequenz, dass Ärztinnen und Ärzte für bestimmte Standard-OPs weniger Geld bekommen. Für eine Polypenentfernung bei Kindern etwa gibt es nur noch rund 107 statt wie zuvor 111 Euro. Im Gegenzug wurden komplexere Eingriffe finanziell aufgewertet. Viele Ärzte klagen, dass schon die alte Bezahlung nicht kostendeckend gewesen sei. Sie wandten sich in einer Art Streik gegen diese Änderung – bis heute – und führen solche Eingriffe nur noch in dringenden Notfällen durch. Leidtragende sind Kinder und ihre Eltern, wie eben Familie Panjas aus Augsburg. Im Mai hatte sich Henrys gesundheitlicher Zustand verschlimmert.

"Da ist das Trommelfell gerissen und er bekam eine Gehörgangsentzündung", sagt die Mutter, die nach eigenen Angaben vergeblich etliche Ärzte und Kliniken abgeklappert habe. Was sie mitunter zu hören bekam, erzürnte die 33-Jährige. In der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde des Uniklinikums Augsburg in Haunstetten habe man ihr gesagt, erst wenn es sich auf das Gehirn schlage, bekäme sie einen Termin. "Das hat mich so geärgert. Ich telefonierte dann halb Bayern nach einem OP-Termin ab. Entweder hieß es, man sei nicht zuständig, freie OP-Termine erst ab 2025, oder ich solle mich bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beschweren." Ein Klinik-Personal, das am Telefon ihren Frust abbekommen habe, habe ihr geraten, zu demonstrieren. "Soll ich mich jetzt mit einem Schild in Augsburg hinstellen?", echauffiert sich die Mutter. Bei so einem Protest, der sich auf Kinder auswirke, werde aus ihrer Sicht eine Linie überschritten. Ihr jüngster Sohn höre inzwischen schlecht. Im Augsburger Uniklinikum beteiligt man sich laut Auskunft nicht an den Streiks. Dennoch, die Warteliste für derartige Eingriffe ist lang.

Uniklinik Augsburg steht in Kooperationsverhandlungen mit anderem Krankenhaus

Aktuell sei die Warteliste bei Januar 2024 angelangt, meint Prof. Dr. Johannes Zenk, Direktor der dortigen HNO-Klinik. "Der reglementierende Faktor sind nicht die HNO-Ärztinnen und Ärzte – es fehlt eher an verfügbaren OP-Kapazitäten inklusive des erforderlichen Fachpersonals aus Pflege und Anästhesie." Bei akuten Behandlungen erfolge aber die notfallmäßige Behandlung wie bisher, betont der Mediziner. Das Universitätsklinikum stehe inzwischen in Kooperationsverhandlungen mit einer anderen Klinik in Augsburg, mit dem Ziel, die Kapazitäten für diese Eingriffe zu erhöhen. Die aktuelle Problematik könne die Uniklinik jedenfalls nicht lösen. Hier seien die Krankenkassen und die Politik gefragt. 

Die Kassenärztlichen Bundesvereinigung weist wiederholte Vorwürfe von Politikern und Krankenkassen, protestierende Ärzte würden sich unethisch verhalten, zurück. Immer auf die Verpflichtung der Ärzte abzustellen, ihre Patienten versorgen zu müssen, sei ein unzulässiges Argument, sagte KBV-Chef Andreas Gassen. Der eigentliche Skandal sei, dass die Kolleginnen und Kollegen, gerade weil sie sich ihren Patienten verpflichtet fühlten, schon seit Jahren Leistungen erbrächten, die sie nicht bezahlt bekämen. Mutter Agnes Panjas sagt, sie will sich bei dem Streit auf keine Seite schlagen. Ihre Kritik ist aber, "dass das Geld über die Gesundheit der Kinder gestellt wird". Nach langem Suchen und vielen Telefonaten hat die Augsburgerin inzwischen einen Termin für Henry ergattert: Eine Ärztin in Stuttgart operiere den Vierjährigen im Oktober.

 
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