Jim Knopf ist für viele Kinder und Erwachsene ein Held; in Augsburg - durch die Verfilmungen der Puppenkiste - in besonderem Maß. Doch die Geschichte des schwarzen Jungen, der mit Lukas, dem Lokomotivführer, durch die Welt reist, ist aus Sicht von Studenten der Technischen Hochschule Augsburg als "überhaupt nicht empfehlenswert" einzustufen. Es ist die schlechteste Bewertung auf einer fünfteiligen Skala, welche die Studentinnen und Studenten entwickelt haben. Die Begründung: Das Buch enthalte Rassismus und Vorurteile. Die Studenten haben im Auftrag der Augsburger Stadtbücherei damit begonnen, den Bestand der Kinderbücher unter rassismuskritischen Gesichtspunkten zu bewerten. Erste Ergebnisse und der Umgang damit wurden jetzt vorgestellt.
Aussortiert wird aber nichts. Wer künftig eine Ausgabe des ersten Jim-Knopf-Bands in der Stadtbücherei ausleiht, findet auf der Rückseite des Buches einen Aufkleber mit einem QR-Code. Scannt man diesen ein, dann landet man auf einer Internetseite mit weiteren Erklärungen und einer Einstufung. Kritisiert wird etwa, dass das Wort "Neger" im Buch vorkomme. Die schwarze Hautfarbe von Jim werde mit Schmutz in Verbindung gebracht. Im Buch heiße es unter anderem, Waschen sei für ihn "überflüssig, weil er ja sowieso schwarz war und man gar nicht sehen konnte, ob sein Hals sauber war oder nicht". Jims Berufswunsch des Lokomotivführers werde damit begründet, dass "dieser Beruf so gut zu seiner Haut passte". Zudem erschrecke der kleine Jim vor Lukas' von Ruß schwarzem Gesicht, wodurch - so die Analyse der Studenten - "seine eigene Hautfarbe als angsteinflößend charakterisiert" werde.
Augsburger Professor sagt: Manche Kinderbücher können sehr verletzend sein
Kinder könnten das alles nicht richtig einordnen, sagt Simon Goebel, Professor für soziale Arbeit und Diversität an der Hochschule. Es könne durchaus sein, dass weiße Kinder sich durch Bücher wie Jim Knopf rassistische Vorurteile zu eigen machten. Eltern müssten beim Vorlesen erklären, dass das Buch aus einer anderen Zeit stamme und problematische Sichtweisen beinhalte. Das passiere aber nicht immer. Für nicht-weiße Kinder und ihre Eltern können die Darstellungen "sehr verletzend" sein.
Die Debatte um Kinderbücher wird schon seit einigen Jahren geführt, etwa als bei Pippi Langstrumpf das Wort "Negerkönig" durch "Südseekönig" ersetzt wurde - Pippis Vater ist in der Geschichte Herrscher von Taka-Tuka-Land. Kritiker sehen das als Bevormundung, Einschränkung der künstlerischen Freiheit und Beschädigung des Werks. Aus Sicht von Simon Goebel ist die Kritik aber "nicht sachgerecht". Nicht jedes Buch, das vor Jahrzehnten geschrieben worden sei, eigne sich eben heute noch als Kinderlektüre.
Die Reaktionen darauf, dass einst hochgelobte Bücher nun teils in der Kritik stehen, sind durchaus emotional. Als die Pläne der Stadtbücherei Anfang des Jahres öffentlich wurden, gab es einige kritische Leserbriefe - und als ein Internetblog das Thema aufgriff auch eine Reihe von wütenden Zuschriften an die Bücherei. Einige seien so formuliert gewesen, dass man auch Anzeige erstattet habe, sagt Tanja Fottner, die Leiterin der Stadtbücherei.
Rassismus-Überprüfung: Stadtbücherei Augsburg nimmt kein Buch aus dem Regal
Die Bücherei-Chefin sagt, man wolle "niemanden bevormunden". Konkret heißt das: Die Bücherei werde keines der Bücher, das eine schlechte Bewertung bekomme, deswegen aus dem Regal nehmen. Man klebe die Warnhinweise auch bewusst nicht direkt auf die Bücher. Lediglich über den neutral gehaltenen Aufkleber mit dem QR-Code gelange man zu der negativen Einstufung. Fottner schließt nicht aus, dass einzelne Bücher nicht mehr ersetzt werden, wenn sie aufgrund ihres Zustands ausgemustert werden müssten. Klassiker wie Jim Knopf und Pippi Langstrumpf werde das aber nicht betreffen. Die Frage stelle sich eher bei Büchern, so Fottner, die ohnehin nicht mehr groß nachgefragt würden.
Bei Anschaffungen von Kinderbüchern, die neu auf den Markt kommen, will die Stadtbücherei allerdings schon darauf achten, dass diese der "Vielfalt", die es in Augsburg gebe, auch gerecht würden. Regelmäßig würden Eltern auch nach solchen Büchern fragen. Als positives Beispiel listet die Analyse der Studenten etwa das Buch "Bleibt der jetzt für immer?". Es handelt von einem Jungen, der damit hadert, dass er einen Bruder bekommt und die Aufmerksamkeit der Eltern jetzt teilen muss. Die Familie ist schwarz - weiter thematisiert werde das aber gar nicht, sondern einfach als normal dargestellt. Es bekommt von den Studenten die beste Bewertung - als "sehr empfehlenswert". Bisher wurden erst knapp 40 Bücher der Rassismus-Prüfung unterzogen, in den nächsten Jahren soll die Analyse aber weitergehen.
Hören Sie auch unsere Podcast-Folge "Augsburg, meine Stadt" mit dem Chef der Augsburger Puppenkiste, Klaus Marschall: