Nachts soll er alkoholisiert vor ihrem Haus herumgeschrien haben: "Fuck off" und "Ich werde niemals aufhören". Renate M. (Name geändert) lebt in ständiger Angst, seitdem sie ihren Lebensgefährten verlassen hat. Bald nach der Trennung begann es mit pausenlosen Anrufversuchen, Handynachrichten und Läuten an der Haustür. Wie die Augsburgerin erzählt, wird sie seit über einem Jahr von ihrem Ex-Partner gestalkt - mit fatalen Auswirkungen auf ihren Alltag und auf ihre Psyche. Die 50-Jährige sagt, als Stalking-Opfer fühle sie sich in ihrer Not alleingelassen. Kritik übt sie am Opferhilfeverein Weißer Ring.
Eineinhalb Jahre waren die Augsburgerin und Florian K. (Name geändert), der in unmittelbarer Nähe von ihr wohnt, ein Paar. Mit Unterbrechungen. Denn Renate M., so schildert sie, merkte bald, dass ihr Partner massiv Alkohol konsumiere. "Er war mit mir bei einer Beratung. Dort wurde über eine Alkoholsucht gesprochen, aber er wollte sich nicht helfen lassen." Im Februar 2022 trennt sich Renate M. endgültig. Der Klingel- und Nachrichtenterror beginnt, als sie sich drei Monate später mit einem Mann verabredet und Florian K. davon erfährt. Er passt sie fortan am Haus ab, an ihrer Arbeitsstelle, verfolgt sie durch die Stadt. In der Kneipe nahe ihres Hauses wird er plötzlich zum Dauergast, sein Zweirad parkt er bei ihrer Tiefgarage. Die ständige, zum Teil subtile Präsenz, wird für die Frau zum Psychoterror. Ende Mai erzielt die Augsburgerin bei der Polizei ein Kontaktverbot für rund eine Woche. "Ein Tag lang war Ruhe, dann passte er mich wieder ab." Renate M. erwirkt innerhalb eines Tages ein gerichtliches Kontaktverbot. "Das Gericht hatte aufgrund der Dringlichkeit schnell reagiert", lobt sie.
Augsburgerin sieht bei Anwältin des Weißen Rings untragbare Interessenkollision
Es sollte zunächst für ein halbes Jahr gelten. Allerdings legt K. Einspruch ein, weshalb es im Oktober zu einer Verhandlung kommt. Die Anwältin des Stalkers habe sich im Prozess für ihren Mandanten sehr ins Zeug gelegt, berichtet Renate M. Als sie später den Namen der Verteidigerin googelt, traut sie ihren Augen nicht. Ihr Ex-Partner wird von einer Strafverteidigerin, die sich zugleich als Opferanwältin beim Weißen Ring engagiert, vertreten. An den Hilfsverein für Opfer hatte sich Renate M. in ihrer Verzweiflung selbst gewandt, berichtet sie. Sie sieht hier eine untragbare Interessenkollision. "Es kann nicht sein, dass eine Opferanwältin und Mitarbeiterin des Weißen Rings sich zugleich engagiert, dass ein Stalker weiter stalken kann", kritisiert sie und spricht von einem "Schlag ins Gesicht". Nicht nur für sie, vielmehr für alle Opfer und die, die sich dort engagierten. Der Verein verliere an Glaubwürdigkeit, sofern er nicht reagiere, findet M. Beim Weißen Ring weist man die Kritik von sich.
Birgit Heller arbeitet seit 30 Jahren beim Verein, der Opfer von Kriminalität und Gewalt unentgeltlich berät und begleitet. Die Landesvorsitzende des Weißen Rings Bayern-Süd hat viel Erfahrung gesammelt. Beim Verein engagierten sich Anwälte, Schöffen, Richter, Polizeibeamte und auch Staatsanwälte ehrenamtlich, zählt sie auf. "Diese Vielzahl an Erfahrungswerten macht die Arbeit des Weißen Rings aus. Dabei wird aber zwischen Beruf und Ehrenamt strikt getrennt", betont Heller. Gelegentlich käme es zu Irritationen. Aber sobald Interessenkonflikte drohten, würden Mitarbeiter ihren Fall abgeben, damit kein "Geschmäckle" aufkomme. Im vorliegenden Fall sieht Heller kein Problem. Dass Anwälte sowohl als Strafverteidiger als auch als Opferanwälte arbeiten, sei in dem Beruf normal. Die wenigsten Anwältinnen und Anwälte könnten es sich leisten, sich nur auf die Opferseite zu spezialisieren. "Das geht höchstens in großen Städten, etwa in Berlin oder München, wo viele schwere Fälle in Prozessen münden." Auch die Anwältin selbst, die von Renate M. kritisiert wird, sieht keine Interessenkollision.
Wegen Stalker traut sie sich nicht mehr allein nach Hause
"Nach meinen Recherchen hat sie sich zum Zeitpunkt, als ich das Mandat übernommen hatte, noch gar nicht an den Weißen Ring gewandt gehabt", sagt die Juristin. "Ich bin Fachanwältin für Strafrecht. Reine Opferanwälte gibt es kaum." Landesvorsitzende Birgit Heller meint: "Man könnte jetzt sagen, der Weiße Ring soll eigene Anwältinnen und Anwälte einstellen. Aber ganz ehrlich, das Geld gibt man lieber für die Opfer aus."
Bei Renate M., die seit über einem Jahr unter den Nachstellungen des Mannes leidet, liegen die Nerven blank. Zuletzt hatte das Gericht das Kontaktverbot, das zwischenzeitlich verlängert wurde und bei dem sich der Ex-Partner Renate M. und dem Wohnsitz auf 90 Metern nicht mehr nähern durfte, entschärft. Florian. K. hatte gegen den Radius Einspruch erhoben. Er habe sich in seinem privaten Bewegungsumfeld zu sehr eingeschränkt gefühlt, erzählt die Betroffene. Jetzt dürfe er sich nur noch auf 50 Meter nicht mehr nähern - für sie ein großer Unterschied. "Die Gesetze können diesem Wahnsinn offensichtlich nicht Einhalt gebieten." Renate M. hat Angst. Abends geht die Augsburgerin nicht mehr allein nach Hause. Entweder wird sie von Freunden begleitet oder sie stellt ihr Fahrrad in der Stadt ab und lässt sich die restlichen Meter mit einem Taxi fahren. Sie sagt, sie leide unter Schlafstörungen. Mittlerweile wird ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, sie fehlt häufig in der Arbeit. Renate M. hat mehrere Strafanzeigen gegen ihren Ex-Partner gestellt. Demnächst kommt es zu einem Prozess.