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Augsburg
Viren, Medikamente, Gifte: Welche Geheimnisse Augsburgs Abwasser verrät
Im Spezial-Labor am Augsburger Klärwerk tritt Verborgenes über das Leben der Stadt zutage. Die Spurensuche dort ist auch ein Kampf gegen die Zeit. Ein Besuch.
Max Kramer
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:58 Uhr

Elke Edelmann hat Maß genommen. Auf den Millimeter genau, bis zur zarten Markierung, füllt sie Wasser in den Glaskolben mit der braun-trüben Flüssigkeit. Die Brühe hat einen langen Weg hinter sich: Kilometerlang floss sie unterhalb Augsburgs durch die Kanalisation, um hier, im Norden der Stadt, wieder nach oben gespült zu werden. Jetzt bereitet Chemielaborantin Edelmann die Probe vor – um ihr anschließend eines der Geheimnisse zu entlocken, die in AugsburgsAbwasser schlummern.

Das Labor am Klärwerk ist ein Ort der Spurensuche. AugsburgsAbwasser legt hier Zeugnis davon ab, was Unternehmen und Privathaushalte im Raum Augsburg auf den Weg in die Kanalisation schicken. Das Einzugsgebiet umfasst neben der Stadt auch verschiedene Gebiete im Süden, darunter etwa Königsbrunn. Rund 370.000 Personen sind so an das viertgrößte Klärwerk in Bayern angeschlossen.

Tür auf, Schutzbrille auf, Jürgen Demeter betritt das Hauptlabor. Der Leiter des Abwasserlabors und sein Team haben nicht nur, aber insbesondere Stoffe im Blick, die biologisch nicht oder nur schwer abbaubar sind. Da sind etwa Schwermetalle wie Blei, Chrom oder Quecksilber, die meist aus Industriebetrieben stammen. Ihr Anteil im Abwasser hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich abgenommen, Rückstände sind aber permanent nachweisbar. Überschreitet die Konzentration bestimmte Schwellenwerte, können sie schädlich für Mensch und Umwelt sein. Auch das Überwachen von Stickstoff- und Phosphor-Konzentrationen gehört zur Routine in der Kläranlage.

Das Spezial-Labor im Klärwerk misst Augsburgs Abwasser

Doch das Tagesgeschäft im Labor verändert sich. "Der Fokus liegt zunehmend auf Spurenstoffen", sagt Demeter. "Und das ist ein weites Feld." Spurenstoffe sind chemische Substanzen, die in geringsten Konzentrationen vorkommen - und dadurch umso schwerer nachzuweisen sind. Die Analyseverfahren haben sich aber deutlich verbessert. In einer Untersuchung von Dezember 2020 bis Dezember 2021 nahm das Abwasser-Labor rund 50 Spurenstoffe gezielt ins Visier - und fand eine enorme Bandbreite: So traten pro Liter knapp zehn Mikrogramm des Schmerzmittel-Wirkstoffs Ibuprofen auf - dies entspricht knapp zehn Zuckerwürfeln in einem 50-Meter-Schwimmbecken. Diclofenac, ebenfalls Schmerzmittel-Wirkstoff, tritt mit knapp zwei Mikrogramm deutlich weniger auf - allerdings sind dessen Bestandteile viel schwerer abbaubar. Dadurch wird fast genauso viel Diclofenac in den Lech geleitet, während der Ibuprofen-Anteil nach dem Klärprozess bei nahe null liegt.

"Spitzenreiter" der Messung war mit mehr als 150 Mikrogramm pro Liter EDTA, eine als "Komplexbildner" bezeichnete Industriechemikalie. Sie kommt etwa in Wasch- und Reinigungsmitteln zum Einsatz - unter anderem in der Papierindustrie, aber auch in der Medizin. Auch EDTA ist in der Abwasserreinigung nur schlecht biologisch abbaubar - und landet somit in recht hohen Konzentrationen im Lech. Für Menschen gilt EDTA in üblicherweiser gemessenen Konzentrationen als unbedenklich, allerdings ist unklar, ob und inwiefern es etwa Wechselwirkungen mit Schwermetallen eingeht.

Im Abwasser fließen Chemikalien und Schwermetalle mit - teils in den Lech

Ebenfalls auffällig sind, ähnlich wie in anderen größeren Städten, die Konzentrationen von Stoffen wie Metformin (insbesondere in Diabetes-II-Medikamenten verwendet), Iohexol (Röntgenkontrastmittel), Acesulfam und Cyclamat (Süßstoffe) oder Benzotriazol (Korrosionsschutzmittel). All diese Stoffe sind bereits im Lech vor Augsburg feststellbar, allerdings in niedrigeren Konzentrationen. Über die Abwasserreinigung sind einige Stoffe gut abbaubar - neben Ibuprofen etwa Metformin oder Cyclamat -, andere jedoch kaum. Dazu zählen etwa Candesartan (Blutdrucksenker), Melamin (z.B. Klebstoffe und Kunststoff) oder Tris-(2-chlorisopropyl)phosphat (Flammschutzmittel). Bei vielen Stoffen ist noch nicht geklärt, wie sie sich auf Organismen auswirken. Viel deutet aber darauf hin, dass etwa Melamin krebserregend wirkt und Sexualhormone, die in der Anti-Baby-Pille zum Einsatz kommen, Fische "verweiblichen".

Die Untersuchungen geben somit auch Hinweise darauf, wie mögliche Umweltrisiken vermieden werden können. "Bei Schwermetallen wissen wir in der Regel recht genau, woher was kommt", sagt Demeter. Im Austausch mit den Verursachern, etwa Unternehmen, könne man darauf hinwirken, die Konzentrationen zu reduzieren - etwa, indem in der industriellen Produktion auf andere Bestandteile zurückgegriffen wird. Allerdings sei das Nachverfolgen bestimmter Stoffe sehr aufwendig, chemisch komplex - und teils auch ein Kampf gegen die Zeit. Regelmäßig kommen neue Chemikalien auf den Markt. Oft zeigt sich erst nach Jahren, welche Auswirkungen sie auf Mensch und Umwelt haben.

Corona-Pilotprojekt: Abwasser kann Aufschluss zu Viren liefern

Einem "neuen" Betätigungsfeld widmete sich das Labor ab 2020: der Suche nach Bestandteilen des Coronavirus. Bis heute liefert es aktuelle Trends und dröselt nach Varianten auf. Laut Jürgen Demeter, Leiter Abwasserlabor und Industrieüberwachung, könnten so künftig auch andere Viren oder sogar Antibiotikaresistenzen erfasst werden. "Irgendwas Interessantes", sagt er, "findet man immer."

 
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