Es ist ein freundlicher Sommertag im Juli, ein Donnerstag, als ein 63-Jähriger aufs Fahrrad steigt und losfährt. Irgendwann erreicht er die Blücherstraße und dort den Bereich, an dem auch die Straßenbahnen der Linie 1 entlangfahren. Eine falsche Bewegung, der Mann gerät mit dem Vorderrad in die Tram-Schienen – und stürzt. Er muss mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht werden, zieht sich aber nur leichte Verletzungen zu. Dieser "Fall" endet vergleichsweise glimpflich, doch das ist bei Weitem nicht immer so. Straßenbahngleisesind ein permanentes Risiko für Augsburger Radlerinnen und Radler.
Im vergangenen Jahr hat die Polizei insgesamt 99 Verkehrsunfälle im Bereich von Straßenbahn-Schienen registriert, wobei 63 Personen verletzt wurden, elf davon schwer. Bei 44 dieser Unfälle, also knapp der Hälfte, waren Fahrradfahrerinnen und -fahrer beteiligt – ein Höchstwert seit 2017, allerdings bewegen sich die Schwankungen auf recht stabilem Niveau. Nicht enthalten in dieser Statistik ist jedoch eine Dunkelziffer, die auch offizielle Stellen als relativ hoch einschätzen. Wer stürzt, aber nicht schwerer verletzt wird und die Polizei nicht informiert, landet auch nicht in der Statistik.
Polizei meldet Unfälle von Fahrradfahrern an Straßenbahn-Schienen
Die Polizei kann nach eigenen Angaben keinen Unfall-Schwerpunkt in Augsburg ausmachen. Es gebe jedoch verschiedene Bereiche in der Stadt, in denen Radlerinnen und Radler "besonders aufmerksam und vorsichtig" unterwegs sein sollten. Dazu zählten zentrale Gleis-Knotenpunkte wie am Moritzplatz, stark frequentierte Innenstadtrouten wie in der Maximilianstraße, Strecken mit Gefälle wie am Milchberg Richtung Osten sowie relativ enge Stellen mit Mischverkehr wie in Ulmer oder Augsburger Straße. Wenn es zu Unfällen komme, seien meist Fahrfehler oder Unachtsamkeit Ursache. Auch die Witterung könne eine Rolle spielen, insbesondere bei Nässe, das Wetter sei grundsätzlich aber eher "von nachrangiger Bedeutung".
Bei den Unfällen, die sich ereignen, gibt es Muster. "Je schmäler die Reifen, desto riskanter wird es", betont Arne Schäffler, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Augsburg. Während Mountainbike-Reifen mit rund fünf Zentimetern kaum in die Schiene sacken könnten, seien Rennrad-Fahrer mit rund 2,7 Zentimetern Reifendicke deutlich gefährdeter – auch wegen der erhöhten Geschwindigkeit, mit der sie in der Regel unterwegs seien. Entscheidend, ob es zum Unfall kommt oder nicht, ist nach Schäfflers Einschätzung jedoch ein anderer Faktor: der Winkel, in dem die Schiene überquert wird. "Bei einem rechten oder fast rechten Winkel kann eigentlich nichts passieren", betont Schäffler. "Je spitzer er ist, desto größer ist die Gefahr, reinzurutschen – und durch den Verlauf der Schienen auch zu stürzen."
Risiko Tram-Gleis: Augsburger Stadtwerke berücksichtigen Winkel bei Planungen
Diese Erkenntnisse fließen auch in die Überlegungen der Stadtwerke Augsburg (swa) ein. "Grundsätzlich wird bei der Planung von Kreuzungen von Fahrradwegen und Straßenbahngleisen darauf geachtet, dass Fahrradspuren möglichst diagonal – also im rechten Winkel – zu den Gleisen liegen und so gefahrlos zu überfahren sind", sagt swa-Sprecher Jürgen Fergg. Dies sei etwa auch bei der Planung des "neuen" Königsplatzes berücksichtigt worden.
Um die Unfall-Gefahr dennoch weiter zu minimieren, starteten verschiedene Städte in den vergangenen Jahren Modell-Versuche. Die Stadt Basel etwa nahm Ende 2021 an einer Haltestelle ein "Velogleis" in Betrieb, bei dem ein Gummiprofil die Spurrille der Schiene verschließt. Es dauerte aber nur wenige Monate, bis die Gummifüllung wegen starker Abnutzung ausgetauscht werden musste. "Eine erprobte und bewährte technische Lösung in der Konstruktion der Schiene ist unseren Spezialisten im Gleisbau derzeit nicht bekannt", sagt swa-Sprecher Jürgen Fergg. Das "Velogleis" werde mit "erheblichem finanziellen und Unterhaltsaufwand" getestet – bei "geringem Erfolg". Die Gummilippen in den Schienen seien außerdem, was Verschmutzung und Reinigung oder auch Probleme mit Eis und Schnee im Winter angehe, "eher kritisch zu sehen". Grundsätzlich sei für die Straßenplanung jedoch die Stadt Augsburg zuständig. Von dort wird eine Anfrage zu möglichen Maßnahmen mit einem Satz beantwortet: "Vonseiten des Mobilitäts- und Tiefbauamtes ist dazu derzeit nichts geplant."
Nach Einschätzung von Arne Schäffler sind solche Modellversuche in Augsburg auch nicht zwingend notwendig, um die Zahl der Unfälle zu reduzieren. "Am pragmatischsten wäre, in Gleisnähe Tempo 30 einzuführen – dann werden Radfahrer von Autos weniger gehetzt, und die Unfall-Gefahr sinkt." Und die Augsburger Polizei rät, wozu sie meistens rät: mehr Achtsamkeit und Rücksichtnahme im Verkehr.