Eine 89-Jährige stürzt auf der Kellertreppe, die linke Kniescheibe bricht. Trotz erster Behandlung in einer Friedberger Klinik kommt sie danach nicht mehr auf die Beine. Sie muss meist im Bett bleiben, liegt wund, leidet unter heftigen Bauchkrämpfen und Verwirrtheit. Erneut wird sie in ein Krankenhaus gebracht, diesmal in Augsburg – und ist eine Woche später tot. Es dauert sieben Jahre, bis feststeht: Den Ärzten sind in der Behandlung schwere Fehler unterlaufen, die zu erheblichem Leid führten. Dass sie für den Tod verantwortlich waren, kann bis zuletzt nicht bewiesen werden. Doch der Fall, der 2017 mit einem zivilrechtlichen Urteil des Augsburger Landesgerichts abgeschlossen wurde, zeigt: Geht es um ärztliche Behandlungsfehler, ist der Grat oft sehr schmal.
Behandlungsfehler umfassen mehr, als der Name vermuten lässt. "Es geht zwar auch um konkrete Fehler bei der Behandlung, sehr häufig spielen aber Mängel bei der Aufklärung eine Rolle", sagt Marion Zech, Augsburger Fachanwältin für Medizinrecht und spezialisiert auf Arzthaftungsfälle. Würden Patienten etwa nicht ordnungsgemäß über Vorgehen oder Alternativen informiert, könne sich daraus bereits eine Haftungsfrage ergeben. "Behandlungsfehler können auch dem besten Arzt passieren – sie sagen nicht zwangsläufig etwas darüber aus, ob jemand qualitativ gut oder schlecht ist."
Verfahren wegen Behandlungsfehlern in Augsburg haben zugenommen
Zech ist seit rund 30 Jahren auf Arzthaftungsfragen spezialisiert, seit ungefähr 15 Jahren stellt sie in der gesamten Region einen regelrechten "Boom" entsprechender Fälle fest. Dies bedeute aber nicht, dass es auch mehr Behandlungsfehler gebe. Einerseits habe das Bewusstsein von Patienten, bei entsprechendem Verdacht gegen mögliche Behandlungsfehler vorgehen zu können, zugenommen. Andererseits verfolgten auch die Krankenkassen aus eigenem finanziellen Interesse entsprechende Fälle konsequenter. Am Augsburger Landgericht gingen in diesem Jahr rund 100 neue Arzthaftungsverfahren ein, wie es von dort auf Anfrage heißt. Damit bewege man sich in etwa auf dem Niveau der Vorjahre.
Dass Behandlungsfehler strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen haben, ist extrem selten – Voraussetzung wäre etwa grobe Fahrlässigkeit oder gar Absicht. Größtenteils geht es um Zivilverfahren: Bei einem Streitwert von bis zu 5000 Euro werden sie am Augsburger Amtsgericht verhandelt – in diesem Jahr gab es dort etwa zehn entsprechende Verfahren –, ab 5000 Euro ist das Landgericht zuständig. Der Anteil der erfolgreichen Klagen liegt nach Schätzungen einer Landgerichtssprecherin bei "unter 40 Prozent". Bei den meisten Arzthaftungsverfahren liege der Streitwert zwischen 10.000 und 80.000 Euro, manchmal aber auch über einer Million Euro. "Sehr hoher Streitwert liegt des Öfteren zugrunde, wenn es sich beim behandelten Patienten um ein Kind handelte."
Arzthaftung: Geburtshilfe und OP gelten als sensible Bereiche
Gerade der Bereich Geburt gilt im Zusammenhang mit Behandlungsfehlern als sehr sensibel, weil Versäumnisse lebenslange Folgen haben können. Aber auch "operative Fächer", also insbesondere die Chirurgie, seien etwas häufiger betroffen, sagt Markus Beck, Vorsitzender des Ärztlichen Bezirksverbands Schwaben. Auch dies sei aufgrund des Tätigkeitsgebiets "nicht überraschend". Es gebe mehr komplexere Eingriffe als früher, diese seien auch mit einer "gewissen Anfälligkeit verbunden". Die eher einfacheren seien dagegen sicherer geworden. Insgesamt bewege man sich so auf einem konstanten Niveau, Augsburg liege dabei "weder besser noch schlechter als andere Regionen in Bayern".
Entsprechende Verdachtsfälle, sagt Beck, werden von Gutachtenstellen bei den Landesärztekammern unabhängig geprüft. Es komme aber immer auf den Einzelfall an – eine entscheidende Frage sei dabei, ob sich der oder die Verantwortliche je nach Fachbereich an die geltenden Standards gehalten habe. "Ich kann aber versichern: Wenn jemand häufig Fehler macht, dann wird er aus dem Verkehr gezogen." Komplett könne man Fehler in einem Bereich wie der Medizin nie ausschließen, gerade wenn Entscheidungen unter enormem Druck fielen. Bei Auffälligkeiten und Fehlern gebe es aber ein "gutes, funktionierendes System".
An der Augsburger Uniklinik sind gesicherte Behandlungsfehler selten
Auch das Uniklinikum Augsburg (UKA) beschäftigen Behandlungsfehler. Im Schnitt der vergangenen fünf Jahre kommt es dort jährlich zu 42 entsprechenden Verdachtsmeldungen, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt. In nur zweien davon werde tatsächlich ein Behandlungsfehler gutachterlich festgestellt. Gemessen an den gesamten stationären Behandlungsfällen pro Jahr am UKA mache dies einen Wert von 0,003 Prozent aus. Sofern Behandlungsfehler erkannt worden seien, hätten diese nur in Einzelfällen kausal nachvollziehbare Folgeschäden gehabt. "Ein tödlicher Verlauf aufgrund eines Behandlungsfehlers konnte als absolut gesicherte Ursache in den letzten Jahren nicht festgestellt werden." Um Behandlungsfehler aufzuarbeiten, gebe es verschiedene Mechanismen: bei konkreten Verdachtsfällen etwa interdisziplinäre Konferenzen, institutionalisiert auch das Vieraugenprinzip oder "Haftungskonferenzen", in denen man aus gemeldeten oder aufgekommenen Zwischenfällen Maßnahmen ableite.
In der Regel kommen spezielle – und immer teurer werdende – Haftpflichtversicherungen für Schadensansprüche gegenüber Ärzten, Praxen oder Kliniken auf. In Ausnahmefällen kommt es auch zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen – etwa, wenn Vorgaben missachtet wurden. Am UKA ist dies nach Auskunft der Sprecherin nur einmal alle zwei Jahre der Fall. Obwohl es statistisch nur in absoluten Ausnahmefällen zu Behandlungsfehlern komme, sei das UKA regelmäßig mit dem Thema konfrontiert – im Internet: Es sei zu beobachten, so die Sprecherin, "dass in Fällen, in denen kein Behandlungsfehler vorgelegen hat, dies aber subjektiv nach wie vor so empfunden wird, teils auch über Social-Media-Kanäle Diffamierungen oder gar Bedrohungen insbesondere behandelnder Ärztinnen oder Ärzte stattfinden."