Im Fall um einen angedrohten Ehrenmord an einer damals 16-jährigen Jesidin aus Augsburg könnte in dieser Woche im Berufungsverfahren ein erneutes Urteil gegen den Vater und einen der Brüder der Jugendlichen fallen. Zuletzt hatte am Landgericht Augsburg ein Verständigungsgespräch zwischen Gericht, Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreterin zu einem Ergebnis geführt, worauf sich alle Prozessbeteiligten einigen konnten. Dem Opfer, das sich weiter in einem Zeugenschutzprogramm befindet, bleibt demnach eine Aussage erspart. Die Angeklagten - der Vater und einer der Brüder des Mädchens - werden weiter mit einer Haftstrafe rechnen müssen. Die beiden Männer erzählten am vergangenen Verhandlungstag von ihrem Leben.
Wie bereits mehrfach berichtet, sollte die junge Frau, die aus einer Familie jesidischen Glaubens stammt, von ihrer Familie im Mai 2022 drangsaliert, geschlagen und mit dem Tod bedroht worden sein. Sie hatte ihre Eltern und Geschwister gegen sich aufgebracht, weil sie einen Türken und Muslim zum Freund hatte. Die Familie, die aus dem Irak nach Deutschland geflohen war, sah die Ehre durch die Beziehung beschmutzt.
Angeklagter vor Augsburger Gericht: "Das im Irak war eine Katastrophe"
Der inzwischen 45 Jahre alte Vater und der 24 Jahre alte Bruder wurden im März dieses Jahres am Augsburger Amtsgericht zu jeweils drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt (wir berichteten). Die beiden Angeklagten legten über ihre Anwälte Berufung ein, die Staatsanwaltschaft ebenso. Während der Bruder im Berufungsverfahren die Vorwürfe einräumte und sich für sein Verhalten seiner Schwester gegenüber entschuldigte, gab es vom Vater bislang keine Stellungnahme. Der Patriarch äußerte sich lediglich zu seiner Person.
Demnach wuchs der Mann ohne Eltern im Irak auf. Sie waren kurz nach seiner Geburt gestorben. Eine Nachbarin und ein Onkel hätten auf ihn aufgepasst. Eine Schule habe er nicht besucht. "Das im Irak war eine Katastrophe. Ich hatte auch keine Ausbildung", berichtete er Richterin Claudia Kögel. Er sei Legastheniker, habe, nachdem er 2008 nach Deutschland gekommen war, dort nur mit "seiner Kraft gearbeitet".
Augsburger Jesiden-Prozess: Angeklagter Vater berichtet von seiner Arbeit
Er habe Hilfsarbeiten gemacht, sich unter anderem zwei Jahre lang im Münchner Hotel Bayerischer Hof, bei Umzugs- oder Gebäudereinigungsfirmen oder als Pizzafahrer Geld verdient. 2010 seien seine Frau und die erstgeborenen Kinder nach Deutschland nachgekommen, dort kamen weitere Kinder auf die Welt. Der 45-Jährige hat mit seiner Ehefrau neun Söhne und Töchter. Ein weiterer Sohn habe sich vor einigen Jahren das Leben genommen.
Familie inzwischen aus Augsburg weggezogen
Sowohl er als auch der mitangeklagte Sohn sitzen inzwischen seit über 19 Monaten in Untersuchungshaft in der JVA Gablingen und im Münchner Gefängnis Stadelheim. Vor seiner Verhaftung, berichtete der 45-jährige Vater weiter, habe er beim Jobcenter einen Kurs besucht, um Lesen und Schreiben zu lernen. Seine Frau und er bezogen staatliche Unterstützung. In Untersuchungshaft dürfe er gar nichts machen, beklagte er sich. Die Familie sei inzwischen aus Augsburg weggezogen und lebe in Nordrhein-Westfalen. Ja, man habe Schulden, sagt er. "Wie hoch weiß ich nicht." Der mitangeklagte Sohn, der ebenfalls im Irak geboren wurde, hatte in Deutschland seinen Realschulabschluss gemacht. Nach einer abgebrochenen Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker arbeitete er bei einem Sicherheitsdienst.