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Augsburg
Gastro vs. Kunde: Augsburger Restaurants lassen negative Bewertungen löschen
Nachdem sie Augsburger Gastro-Betrieben kritische Rezensionen hinterlassen haben, erhalten viele Nutzer Post von einer "Kanzlei". Das System dahinter wirft Fragen auf.
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Foto: Frank Rumpenhorst, dpa (Symbolbild) | Schlechter Service oder schlechtes Essen? Viele Kunden schreiben in einem solchen Fall negative Bewertungen im Internet.
Max Kramer
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:58 Uhr

Er war ihr auch so in Erinnerung geblieben, der Café-Besuch vor vier Jahren. Mit ein paar Freundinnen traf sich Julia Braunmüller (Name geändert) damals im Henry's Coffee am Rathausplatz, eine lockere Runde in beliebtem Ambiente. Trotzdem sollte es keine angenehme Erfahrung werden – und das wegen des Cafés, wie sie schildert: Essens-Bestellungen seien nicht wie gewünscht und unvollständig gekommen, Beilagen teils lauwarm. Also schrieb Braunmüller eine kritische, aber differenzierte Google-Bewertung und gab zwei von fünf Sternen. Thema erledigt? Nein. Denn nun, vier Jahre danach, kam Post.

Steht hinter "MGS Internet Kanzlei" und "Jana Jentsch" eine Kanzlei?

Absender der Mail war Google. Man habe eine Beschwerde über besagte Rezension erhalten, heißt es in dem offenbar standardisierten Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. "Der Beschwerdeführer argumentiert, dass die Bewertung seine Persönlichkeitsrechte verletze", schreibt Google. Man habe deshalb beschlossen, die Bewertung nach sieben Tagen zu entfernen, sofern man den Besuch des rezensierten Ortes nicht nachweisen könne – zum Beispiel durch Rechnungen. Auch die Beschwerde selbst ist angefügt. Dort tritt eine "MGS Internet Kanzlei" als Ermächtigte von "Henrys Coffee World AG" auf und erläutert anhand mehrerer zitierter Urteile, warum Braunmüllers Bewertung gelöscht werden müsse. Unter anderem bestreite der "Kunde", also Henry's Coffee, einen Kundenkontakt mit dem Bewerter "mit Nichtwissen". Dies bedeutet vereinfacht, dass Henry’s Coffee angibt, nicht zu wissen, ob Frau Braunmüller tatsächlich zu Gast gewesen ist. Dadurch müsste Braunmüller den entsprechenden Besuch nachweisen.

Die Beschwerde stammt offenbar von einem in Berlin ansässigen Unternehmen, das in den Schreiben jedoch als Kanzlei auftritt – eben als "MGS Internet Kanzlei". Dies und der Verweis auf die verschiedenen Urteile im Schreiben könnten den Eindruck erwecken, beim Absender handle es sich um eine Rechtsanwaltskanzlei. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre das Vorgehen möglicherweise nicht zulässig. Die Berliner Anwaltskammer bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion, dass derzeit ein entsprechendes Verfahren laufe. Dabei werde geprüft, ob womöglich "unerlaubte Rechtsberatung" und damit ein Gesetzesverstoß vorliege. Nähere Angaben könne man nicht machen. Was ebenfalls Fragen aufwirft: Signiert ist die Beschwerde mit "MGS Internet Kanzlei" und "Jana Jentsch". Nach Auskunft der Berliner Anwaltskammer gibt es bundesweit jedoch aktuell keine zugelassene Rechtsanwältin mit diesem Namen. Tatsächlich existiert nur eine Kanzlei mit täuschend ähnlichem Namen. Von dort heißt es auf Anfrage, man habe in diesem Zusammenhang bereits etliche Anfragen von Verbrauchern aus ganz Deutschland bekommen, verbunden mit der Frage, ob man hinter den Lösch-Aufforderungen stecke. Dies sei nicht der Fall.

Augsburger Gastronomen gehen gegen negative Online-Bewertungen vor

Wie genau das Modell zwischen der vermeintlichen Kanzlei und den Gastronomie-Betrieben konstruiert ist, ist unklar. Zwischen mehreren Augsburger Fällen, die unserer Redaktion geschildert wurden und dokumentiert sind, besteht jedoch ein Zusammenhang. Neben Kundinnen und Kunden von "Henry's Coffee" erreichten die wortgleichen Schreiben auch Menschen, die sowohl die Kälberhalle als auch die Zeughaus-Stuben bei Google kritisch bewertet hatten. Die drei Gastro-Betriebe gehören zur in Augsburg ansässigen "Zwei-Bayern-Küche Verwaltungs GmbH". Mehrere Anfragen unserer Redaktion zum Vorgang blieben von dort unbeantwortet. Google teilt auf Anfrage mit, dass man sich nicht zu Einzelfällen äußere, und verweist auf die Richtlinien zu Nutzer-Bewertungen. Die Beschwerde von Unternehmen, es habe keinen Gästekontakt gegeben, reicht nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs bereits aus, dass Bewertungsportale – in diesem Fall Google – einen Fall prüfen und den Gästekontakt nachweisen müssen.

Wie hoch wiederum die Anforderungen sind, einen solchen Kundenkontakt plausibel zu machen, "ist eine Einzelfallfrage", sagt Nikolaus Stumpf von der Verbraucherzentrale Bayern. Die Rechtsprechung, auf die in der Lösch-Aufforderung verwiesen werde, sei nicht zwangsläufig "auf sämtliche ähnlich gelagerte Fälle übertragbar." Im Fall von Julia Braunmüller sei "fraglich, ob der Tatbestand auf den hier vorliegenden Sachverhalt der Gastronomie anwendbar ist." Zusätzlich müsse man dabei berücksichtigen, dass der Restaurant-Besuch mehrere Jahre zurückliege. "Praktisch gesehen, ist es nahezu unmöglich, nach so einem langen Zeitraum einen Besuch plausibel zu machen. Wie soll das funktionieren?" In derartigen Fällen werde demnächst auch die Rechtsprechung gefragt sein. "Möglicherweise wollte der Betreiber „klar Schiff“ machen und zum jetzigen Zeitpunkt alle ihm nachteiligen Bewertungen loswerden, um so zu einer guten aktuellen Gesamtbewertung zu kommen."

Google verweist wegen schlechter Rezensionen auf Richtlinien

Tatsächlich haben sich die Gesamt-Bewertungen der genannten Gastronomie-Betriebe zuletzt tendenziell verbessert, teils auch deutlich, wie Julia Braunmüller ebenso wie andere Nutzerinnen und Nutzer beobachtet hat. Sie halte das Vorgehen für ein "Unding", sagt Braunmüller. Es sei schwierig, wenn Gastronomie-Betriebe versuchten, rechtlich gegen schlechte Bewertungen auf einer unabhängigen Plattform vorzugehen, anstatt Service und Leistung zu verbessern. Unternehmen aus verschiedenen Branchen beklagen wiederum immer wieder, mit tatsächlich gefälschten negativen Bewertungen zu kämpfen zu haben – zum Beispiel von Mitbewerbern.

 
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