
Im Alter von 13 Jahren bog er falsch ab. Slavko P. (Name geändert) probierte Marihuana, LSD, Ecstasy. Die Drogen wurden im Freundeskreis herumgereicht. Der Rausch gefiel ihm. Er machte sein Leben aufregender. Zum Leidwesen seiner Mutter. "Ich war immer das schwarze Schaf in der Familie", erzählt Slavko. "Alle meine Freunde waren schwarze Schafe." Der Junge aus dem Augsburger Stadtteil Kriegshaber driftete ins kriminelle Milieu ab. "Die Unterwelt", nennt es Slavko großspurig im Rückblick. Früher pflegte er gerne das Image des bösen Jungen. Früher, das war vor dem sogenannten Reesepark-Prozess um eine blutige Auseinandersetzung in der Grünanlage, der im vergangenen Jahr für viel Aufsehen sorgte.
Als Hauptfigur in der Messerstecherei unter Jugendgruppen an einem Februarabend 2021 in dem Park in Kriegshaber war Slavko anfangs wegen mehrfachen versuchten Totschlags angeklagt. Doch die Verhandlung, in der Zeugen mauerten und logen bis zur Festnahme eines Zeugen im Gericht wegen Falschaussage, nahm eine überraschende Wendung. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Allerdings verurteilte das Gericht den 22-Jährigen wegen des Handels mit Falschgeld zu einer Bewährungsstrafe. Es ist seine zweite Bewährung inzwischen. Bei einem Treffen mit unserer Redaktion erzählt Slavko von einer Parallelwelt in Augsburg, von der die meisten Bürger, wie er sagt, nichts mitbekämen.
Diebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung: Slavko P. wird in Augsburg polizeibekannt
Haare und Bart akkurat geschnitten, dicke Ringe an den Fingern, am Handgelenk eine protzig wirkende Uhr. Slavko P. sieht aus, wie es viele junge Männer in dem Alter tun. "Checker" nennt man diejenigen oft, die überzeugt sind, es im Leben richtig drauf zu haben und diese Attitüde sichtbar vor sich hertragen. Slavko, der deutsch-serbische Wurzeln hat, wächst in Augsburg auf. Seine Mutter und der Stiefvater ziehen mit ihm und der kleinen Schwester einige Male um. Firnhaberau, Lechhausen, Kriegshaber. Dort, im Augsburger Westen, verbringt er die längste Zeit seiner Jugend. Schule interessiert ihn nicht. Fußball schon. "Ich spielte in mehreren Vereinen. TSV Schwaben, TSG Hochzoll,... ", zählt er auf. Seine Mannschaftskameraden bleiben aber lediglich Vereinsfreunde. Andere Jugendliche findet er spannender.
Mit ihnen hängt er zunächst am Plärrer ab, wie er es formuliert. Von mittags bis abends. Man verabredet sich über Facebook. "Dann erkundeten wir neue Spots in Augsburg, chillten am Königsplatz, auf dem Platz hinter dem Rathaus, beim Holbein-Gymnasium." Teilweise seien 100 bis 200 Jugendliche aus allen Stadtteilen zusammengekommen. "Die Polizei schaute öfter vorbei." Er grinst. "Kann man bei der Menge an Leuten auch verstehen." Zu einer bestimmten Jugendgruppe, die sich nach den Postleitzahlen der Stadtteile benennt, habe er indes nie gehört. In seinem engen Freundeskreis sind Drogen normal. Seine erste Kokain-Überdosis hat Slavko im Alter von 14. Irgendwann zieht er täglich Kokain durch die Nase, gibt am Tag 200 bis 300 Euro für den Drogenkonsum aus. Dafür braucht er Geld, dreht krumme Dinger.
Das mit dem Überfall auf den Pizzaboten in der Provinostraße vor einigen Jahren, beteuert er, sei nicht seine Idee gewesen. "Ich war nur zufällig dabei." Er landet das erste Mal in Untersuchungshaft, wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Dann Diebstahl, Sachbeschädigung, gefährliche Körperverletzung - der Augsburger wird das, was man "polizeibekannt" nennt. Er behauptet, oft auch zu Unrecht im Fokus der Polizei gestanden zu sein. Slavko P. macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Welt, in die er abgetaucht war, einst gefiel. Eine Parallelwelt, sagt er, von der die meisten in Augsburg nichts wüssten.
"Was an die Öffentlichkeit dringt, ist nur ein Teil von dem, was wirklich alles passiert." Es sei eine Welt, in der eigene Gesetze gelten. "Es geht hart auf hart zu, Auge um Auge. Man verteidigt sich - egal womit. Da werden auch Straßenschilder hergenommen, wenn man gerade nichts anderes zur Hand hat." Für den Fall der Notwehr habe er manchmal ein Messer bei sich getragen. Wie an jenem verhängnisvollen Abend im Reese-Park, als rund 15 Jugendliche ihn attackiert haben sollen. Er habe diese Welt gemocht. Es ging um Geld und um Macht. "Ich fühlte mich unantastbar - getriggert von dem Drogenkonsum. Ich war ja selten nüchtern."
In seinem Freundeskreis sei er bald zum "Hauptredner" geworden. "Ich passte auf alle auf, wie ein großer Bruder." Der Augsburger gefiel sich offenbar in seiner Rolle. Vielleicht auch, weil sie ihn an die Figuren in den Filmen erinnerte, die ihn in seiner Kindheit so faszinierten. Mafia-Filme, wie "Scarface" oder die Reihe "Der Pate". Dass diese kriminelle, gesetzlose Lebensweise auch in den einstigen Kino-Klassikern kein gutes Ende nahm, registrierte er offenbar nicht.
16 Monate U-Haft: Der Augsburger sagt, das Gefängnis habe ihm gutgetan
16 Monate saß Slavko P. in Untersuchungshaft in Gablinger Gefängnis, bis das Reesepark-Verfahren im vergangenen Sommer eingestellt wurde. Das Gericht befand nach vielen zähen und langen Verhandlungstagen, dass er bei der Auseinandersetzung im Park in Notwehr gehandelt habe. Wegen der Sache mit dem Falschgeld aber und noch vorangegangenen Strafen, steht er noch bis zum Jahr 2027 unter Bewährung, muss sich an Weisungen und Auflagen halten. Das Gefängnis, sagt er, habe ihm gutgetan. Drogenentzug, Sport, Zeit zum Nachdenken. Bruch mit den falschen Freunden. Mit Mutter und Schwester lebt er inzwischen in München.
Er arbeitete zunächst für eine Getränkefirma, hat sich inzwischen mit eigenen Gewerbeanmeldungen selbstständig gemacht. "Ich verlege auf Baustellen Böden, mache Auto-Transporte, Haushalts-Auflösungen, Umzüge und E-Commerce." Jetzt, über den Winter, würde noch nicht viel gehen. "Aber dann wird es bestimmt stressig." So ganz sicher ist sich Slavko P. aber noch nicht, wohin seine Reise künftig geht. Er weiß nur eines. "Ich war in diese eine Welt verliebt. Sie war aufregend, aber sie tat mir nicht gut." Zum ersten Mal wolle er sich jetzt ein normales Leben aufbauen, mal Familie gründen. Auch wenn es etwas langweiliger sei, meint er. Sein Strafverteidiger Jörg Seubert, mit dem er sporadisch noch Kontakt hat, sagt: "Ich hoffe, dass er jetzt auf den Weg zurückgefunden hat, von dem er falsch abgebogen ist."
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