Das Quad heult auf, Robert Krnezic rauscht durch das hüfthohe Gestrüpp der Westlichen Wälder. Und dann, nach ein paar Minuten Fahrt, plötzlich: Ruhe. Krnezic steigt an einer Lichtung ab. Die Vormittags-Sonne legt ihr sanftes Licht über das kräftig-grüne Ensemble aus Bäumen, Sträuchern und Gras. Am Rand der Schneise versteckt sich ein Jägerstand, nur ein paar Meter weiter liegt eine Fütterungsstelle. Hier also begegnen sie sich, Mensch und Tier, Jäger und Wild. "Wenn das Wildschwein nachts kommt, dann hört man ein dumpfes Klappern", sagt Krnezic, ein Funkeln in den Augen. Er habe große Ehrfurcht vor jedem Geschöpf. Es ist eine Faszination, zu der auch der Tod gehört – und die immer mehr Menschen in und um Augsburg teilen.
Jagen liegt im Trend, fast alle Werte in diesem Zusammenhang gehen nach oben. Das betrifft die bundesweite Zahl der Menschen mit Jagdschein – 2021/2022 waren es mehr als 400.000 –, aber auch die Situation in Augsburg: Im vergangenen Jahr wurden im Stadtgebiet 226 – meist zeitlich befristete – Jagdscheine ausgestellt, die Tendenz ist seit Mitte der 2000er-Jahre steigend. Auf die aktuell 540 Jäger mit Waffenbesitzkarte verteilen sich gut 3500 Waffen – und damit rund ein Drittel mehr, als noch vor acht Jahren im Umlauf waren. Auch die Augsburger Jägervereinigung berichtet von spürbar mehr Zulauf. Was steckt dahinter?
Ein Samstag in der Nähe von Itzlishofen bei Fischach (Landkreis Augsburg): Hier, im 250 Hektar großen Revier der Jägervereinigung Augsburg, ist gerade viel los. Eine Handvoll junger Männer mäht, sägt, tüftelt. Robert Krnezic, der vor drei Jahren seinen Jagdschein bekam und deshalb unabhängig vom Alter als "Jungjäger" gilt, befüllt die Fütterungsstelle an der Lichtung mit Mais. "Jagen ist kein Hobby", sagt der 49-Jährige. "Es ist eine Leidenschaft." Auch, wenn dafür ein Tier erschossen wird? Wie fühlt sich das an? "Es ist unbeschreiblich", sagt Krnezic, der in Königsbrunn lebt, und fasst sich ans Herz. "Bei mir geht jedes Mal ordentlich die Pumpe. Das Adrenalin. Du weißt, du hast einem Tier das Leben genommen." Dann fügt er hinzu: "Aber es leidet nicht. Und wenn jemand sagt, dass er bei jedem Schuss kalt bleibt, kann ich das nicht verstehen."
Augsburger auf der Jagd: Viele Stadtbewohner zieht es in den Wald
Wie kommt es nun zu diesem Jagd-Trend, gerade in der Stadt? Viel macht das Natur-Erlebnis aus, sagt Hans Fürst. Er ist Vorstand der Augsburger Jägervereinigung, Leiter der dazugehörigen Jagdschule, seit 45 Jahren in Wäldern unterwegs – und sagt: "Wir Jäger sind sehr gerne in der Natur. Und die Menschen kriegen mit, dass Jagd angewandter Naturschutz ist." Außerdem gehe es um die Pflege des Waldes – und nicht zuletzt auch um gutes Fleisch: Wild sei "eines der besten Lebensmittel, die man bieten kann. Und das Tier hat ein Leben lang in Freiheit gelebt." Im Augsburger Stadtgebiet gibt es laut Fürst rund ein halbes Dutzend Jagdreviere. Sie verteilen sich auf kleinere Gebiete im Siebentischwald und entlang des Lechs Richtung Königsbrunn. Zusammen mit dem Landkreis Augsburg gibt es 180 Jagdreviere, die meisten davon in den Westlichen Wäldern.
Bis der erste Schuss eines Jägers fällt, kann viel Zeit vergehen. Kevin aus Mering, 30 Jahre alt, hat den Jagdschein vor Kurzem bestanden – nach 120 Stunden Theorie und Praxis und noch mehr Stunden des Lernens. "Strecken", im Jagd-Jargon der Fachbegriff für "Erlegen", solle er noch nicht, sagt er. Er übe derzeit noch das "Ansprechen" der Tiere, also wie man aus der Ferne untersucht, wie alt das Tier ist und ob es etwa männlich oder weiblich ist. Drei- bis viermal die Woche steht er um halb vier Uhr morgens auf und sitzt einige Stunden auf dem Jägerstand, bevor er um acht Uhr zur Arbeit geht. Und das macht wirklich Spaß? "Es ist wunderbar, die freie Natur zu beobachten", sagt Kevin, "hier hat man keinen Handyempfang. Man ist ungestört und kommt von seinem Alltagsstress herunter".
Wald vs. Wild: Zwischen Jägern und Förstern herrscht ein Konflikt
Es ist wahrscheinlich, dass Kevins Gewehr das erste Mal bei einem Wildschwein zum Einsatz kommt. Die Jäger aus der Region haben es besonders im Visier. Funktionär Fürst erinnert sich: Als er anfing, vor 45 Jahren, seien im ganzen Jahr in Stadt und Landkreis Augsburg fünf Wildschweine erlegt worden. Vor vier Jahren hingegen seien es 5000 gewesen. Die Allesfresser würden sich zu stark verbreiten, dazu sei auch noch die afrikanische Schweinepest im Umlauf. Ein "Abschussplan" legt eigentlich fest, wie viele Exemplare wovon erlegt werden sollen. So dürfen Fürst und Co. im Revier bei Itzlishofen maximal 33 Rehe im Jahr strecken, bei Wildschweinen hingegen heißt es: Feuer frei. Es gibt kein Limit, alle Schonzeiten sind aufgehoben. Das gilt selbst für die kleinen "Frischlinge". Und trotzdem: Bei Itzlishofen werden mehr Rehe gestreckt als nachtaktive – und deshalb schwer zu jagende – Wildschweine.
Und dann ist da noch ein alter Konflikt, zwischen Förstern und Jägern. Er ist aktueller denn je, weil der Wald im Wandel ist. Der Bayerische Staatsforstbetrieb etwa, dessen Grund die Jägervereinigung pachtet, setzt verstärkt auf klimaresistente Mischwälder. Dafür müssen viele junge Bäume gepflanzt werden, doch die sind wiederum beliebtes Fressen für Rehe. Förster fordern deshalb oftmals mehr Jagd – während Jäger befürchten, die Tierbestände könnten dadurch aus dem Gleichgewicht geraten. "Es hat sich geändert", sagt Fürst, "heute heißt es: Wald vor Wild". Doch auch sonst bewegen sich Jäger in einem Spannungsfeld. Immer wieder müsse man sich in der Gesellschaft rechtfertigen, wie man denn nur jagen könne, sagt Fürst. Er gibt sich aber selbstbewusst: "Alles, was wir jagen, macht Sinn."
Aber wie viel wird überhaupt gejagt? "Also zu sagen, dass wir zehn Prozent der Zeit jagen, wäre viel", sagt Jungjäger Krnezic. "Etwa jedes fünfte Mal, wenn ich auf der Kanzel sitze, kommt etwas vorbei. Und davon strecken kann ich vielleicht jedes zehnte Mal."
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